Marlene Suson 3
Vater ent- riß ihr seine Hände. „Alles auf Greenmont fällt an ihn, wenn ich sterbe. Weshalb sollte er Geld von seinem eigenen Erbe un- terschlagen? Wozu brauchte er es überhaupt?“ Zornig sah er sie an, als wollte er sie der Lüge zeihen.
Sie öffnete den Mund, um ihrem Vater das zu sagen, was ihn vermutlich am tiefsten treffen würde, doch sie brachte keinen Ton heraus. Tränen stiegen ihr in die Augen.
Morgan antwortete an ihrer Stelle. „Er übergab es den Jako- bitern, um den Aufstand gegen King George zu unterstützen.“
„Dummes Zeug! Keiner meiner Söhne würde die Stuarts ge- gen unseren rechtmäßigen König unterstützen. Sie lügen! Was Sie da behaupten, ist völlig ausgeschlossen.“
„Ich fürchte, es ist wahr, Papa.“
Vielleicht waren es die Tränen, die ihr über die Wangen liefen, vielleicht auch die Qual in ihrer Stimme, die ihn überzeugte. Lord Crofton ließ den Kopf sinken. „Was für eine Schande! Seit den Tagen meines Urgroßvaters hat jeder Winslow die Stuarts bekämpft.“
Verzweifelt rang der alte Earl die Hände. „Ich kann es nicht glauben. Noch nie zuvor hat es unter den Winslows einen Ver- räter gegeben. Wenn ich dran denke, daß mein Sohn ...“ Seine Stimme brach.
Daniela brachte es nicht übers Herz, ihrem Vater die Wahr- heit über Basils Abstammung zu gestehen, ihm auch noch diesen Schlag zu versetzen. Hilfesuchend schaute sie zu Morgan auf, und er nickte ihr zu.
Wieder nahm sie die Hände ihres Vaters und drückte sie tröstend. „Papa, Basil ist kein Winslow.“
Seine trüben, eingesunkenen Augen weiteten sich verstört. „Was sagst du da?“
Sie zögerte.
Wieder sprach Morgan an ihrer Stelle: „Basil ist nicht Ihr Sohn, Sir.“
Lord Crofton schien noch mehr in sich zusammenzusinken. „Wer ... wessen Sohn ist er?“ stieß er krächzend hervor.
„Lord Charles Boltons Sohn“, antwortete Morgan.
Lord Crofton schloß die Augen, und der Kopf sank ihm auf die Brust. So verharrte er eine ganze Weile, bis Daniela besorgt fragte: „Geht es, Papa?“
Er antwortete nicht.
Tränen brannten in ihren Augen. „Es tut mir so leid, Papa, daß gerade ich dir diese schlimme Nachricht bringen mußte. Ich weiß ja, daß du mich schon immer gehaßt hast, weil ich für Mamas Tod verantwortlich bin.“
Ihr Vater hob den Kopf, und er öffnete die Augen. Daniela sah keinen Haß darin, sondern nur ungläubige Betroffenheit.
„Ich habe dir den Tod deiner Mutter nie zum Vorwurf gemacht, Daniela, doch ich weiß, daß Basil es tat. Ich habe versucht, es
ihm auszureden, indes ließ er sich nicht davon abbringen, daß du – ein unschuldiges, hilfloses Baby – sie umgebracht hast.“
Wie betäubt sank Daniela gegen die Rückenlehne des Sofas. Ihr Vater, von dem sie geglaubt hatte, daß er sie wegen des To- des ihrer Mutter haßte, hatte sie in Wirklichkeit verteidigt. Und tatsächlich, wenn sie genau darüber nachdachte, hatte eigent- lich nur Basil diesen Glauben in ihr bestärkt. Immer und immer wieder hatte er ihr versichert, daß ihr Vater sie haßte, weil er sie für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machte.
Allerdings hatte das Verhalten ihres Vater auch dazu beigetra- gen. „Aber ... aber du hast mich stets ignoriert. Wenn du mich überhaupt einmal ansahst, dann war es, als würde mein Anblick dir Schmerz bereiten.“
„Weil du der lebende Beweis meiner eigenen Schuld bist.“ Die trüben Augen ihres Vaters waren voll Trauer und Reue. „Ich bin für den Tod deiner Mutter verantwortlich, nicht du. Der Arzt hat mir nach James’ Geburt unmißverständlich gesagt, daß sie eine weitere Schwangerschaft nicht überleben würde. Ich habe ihm nicht geglaubt. Ich bestand auf meinen ehelichen Rechten und verursachte damit den Tod deiner Mutter.“ Er seufzte tief. „In all den Monaten, die ich jetzt schon an diesen Stuhl gefesselt bin, hatte ich sehr viel Zeit, um darüber nachzudenken, was für ein miserabler Gatte und Vater ich gewesen bin.“ Tränen rollten über seine faltigen Wangen.
Impulsiv sprang Daniela auf und schlang die Arme um ihn. „O Papa, Papa!“
Er umarmte sie mit überraschender Kraft. Als er sie schließ- lich losließ, richtete sie sich auf und sagte sanft: „Es tut mir so leid wegen Basil, Papa. Ich weiß, was für ein Schlag das für dich sein muß.“
„Ja, es tut weh, aber in gewisser Weise bin ich auch erleichtert.“
Erstaunt sah Daniela ihn an. „Erleichtert?“
„Je älter Basil wurde, desto weniger konnte ich ihn lieben.
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