Marlene Suson 3
wollen.
„Seine Tochter wird er schon sehen wollen.“ Morgans scharfe Stimme duldete keinen Widerspruch. „Lady Daniela hat den weiten Weg von Warwickshire auf sich genommen, um eine sehr dringliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Richten Sie ihm das aus, anstatt uns hier warten zu lassen.“
Mürrisch drehte die Frau sich um und verschwand durch eine Tür. Jetzt war Daniela noch dankbarer für Morgans Begleitung. Als die Frau eine Minute später zurückkam, sagte sie übellaunig: „Sie können rein.“
Sie führte die Besucher in ein spärlich möbliertes Wohnzim- mer, wo Lord Crofton zusammengesunken in einem Rollstuhl saß, eine Decke über den Knien.
Daniela hatte große Mühe, ihr Entsetzen zu verbergen. Ihr Va- ter hatte sich dermaßen verändert, daß sie ihn kaum wiederer- kannte.
Der große, kraftvolle, vor Energie sprühende Mann war zu einer mageren, zusammengeschrumpften Jammergestalt ge- worden. Er war nur noch ein Abziehbild seiner selbst. Sein Gesicht, einst von den vielen im Sattel verbrachten Stun- den tief gebräunt, war weiß und wächsern und schmerzver- zerrt.
Und nun mußte Daniela ihm diesen Kummer aufbürden! Es paßte gut, daß ausgerechnet das ungeliebteste seiner Kinder ihm diese niederschmetternde Nachricht überbrachte.
Morgan nahm ihre Hand und drückte sie aufmunternd.
„Welche Überraschung, Daniela“, sagte ihr Vater. Seine Stimme verriet, daß er es nicht unbedingt für eine erfreuliche Überraschung hielt. „Nimm doch Platz.“ Er wies auf ein Sofa, das seinem Rollstuhl gegenüber stand.
Daniela folgte seiner Aufforderung, während Morgan so ste- henblieb, daß er sie und ihren Vater ansehen konnte.
Die Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, machte keine An- stalten, das Zimmer zu verlassen. „Das wäre alles, Marguerite“, sagte der Earl mit krächzender, schwacher Stimme.
Im ersten Augenblick schien die Frau widersprechen zu wol- len, doch dann wandte sie sich ab und ging mit finsterem Gesicht hinaus.
Als die Tür sich hinter ihr schloß, fragte Daniela: „Wer ist sie, Papa?“
„Sie ist ... hm ... meine Pflegerin.“
Aus einem unerfindlichen Grund schien seine Antwort Morgan zu belustigen, und Daniela fragte sich, warum.
„Was führt dich nach London, Daniela?“ fragte ihr Vater. „Und wer ist der Gentleman bei dir?“
Daniela zog es vor, die zweite Frage vorerst zurückzustel- len, und antwortete: „Ich ... ich fürchte, ich bringe schlechte Nachrichten. Du weißt ja sicher von Walter Briggs ...“
„Sag ja nicht, daß Walter etwas zugestoßen ist“, fiel ihr Va- ter ihr erregt ins Wort. „Ich wüßte gar nicht, was ohne ihn aus Greenmont werden sollte.“
Völlig verdutzt fragte Daniela: „Hat Basil dir denn nichts von der Unterschlagung erzählt?“
Ihr Vater hob mit einer hilflosen Geste die mageren Hände. „Was für eine Unterschlagung?“
„Walter Briggs ist vor drei Monaten verschwunden und mit ihm fünfzigtausend Pfund. Basil behauptete, daß Walter das Geld unterschlagen hätte und damit geflohen wäre.“
Lord Crofton wirkte wie vor den Kopf geschlagen. Seine Fin- ger umkrampften die Decke auf seinen Knien. „Das kann ich nicht glauben! Walter war der rechtschaffenste Mann, den ich kenne.“
Hatte Basil ihrem Vater deshalb nichts von der Unterschlagung gesagt? Er wußte, daß der Earl nicht an Walters Schuld glauben würde. „In Wirklichkeit war er ja auch unschuldig, Papa. Wir wissen jetzt, daß er das Geld nicht genommen hat.“
„Sondern wer? Und wohin ist Walter verschwunden?“
Daniela rückte auf die Kante des Sofas vor und ergriff die Hände ihres Vaters. Sie waren so eingeschrumpft und knochig wie sein ganzer Körper und mit braunen Altersflecken übersät. Daniela drückte seine Hände sanft, als sie widerstrebend die schlechte Nachricht hervorbrachte: „Ich muß dir leider sagen, daß Walter tot ist, Papa.“
„Tot? Wieso?“
„Er wurde von dem wirklichen Dieb ermordet, damit es so aus- sah, als hätte er das Geld genommen“, erklärte Daniela. „Sein Leichnam wurde vorgestern im Wald von Greenmont entdeckt.“
„O mein Gott!“ rief der Earl. „Wer hat das Geld gestohlen?“
Daniela schluckte mühsam, ohne die Hände ihres Vaters los- zulassen. Es fiel ihr schwer, ihm den nächsten Schlag zu versetzen.
Morgan trat hinter sie, legte ihr die Hände auf die Schultern, und drückte sie sanft, um ihr Halt zu geben. „Es war Basil, Papa.“
„Basil! Bist du verrückt geworden, Mädchen?“ Ihr
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