Marlene Suson 3
doch nicht unterstellen, daß ich einen Mann in den Rücken schieße?“
„O doch, genau das.“
Lord Morgan war eindeutig auf ein Duell mit Fletcher aus, allerdings bezweifelte Daniela stark, daß dieser jämmerliche Feigling darauf eingehen würde.
„Lord Morgan, ich hoffe, Sie unterhalten sich gut.“ Basils devote Stimme durchbrach die Spannung zwischen den beiden Kontrahenten.
Daniela las in Morgans Blick, daß er für ihren Bruder auch nichts übrig hatte. Wieso hatte er dann die Einladung nach Greenmont angenommen?
Sir Waldo ergriff die Gelegenheit beim Schopf und schlängelte sich hastig davon – genau wie das Reptil, als das Morgan ihn bezeichnet hatte.
„Es war sehr freundlich von Ihnen, Lord Morgan, daß Sie zweimal mit meiner reizlosen Schwester getanzt haben“, flötete Basil liebedienerisch. „Meine Dankbarkeit ist Ihnen gewiß.“
Daniela spürte, wie ihre Wangen vor Scham brannten. Sie brachte es nicht fertig, den Blick zu Morgans Gesicht zu heben. Basil hatte sie verspottet, solange sie denken konnte, und sie hatte geglaubt, seinen kränkenden Anwürfen gegenüber längst immun zu sein, auch in Gegenwart Dritter. Doch nun entdeckte sie, daß das nicht stimmte, zumindest dann nicht, wenn Lord Morgan Parnell Zeuge ihrer Demütigung wurde. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken.
„Andere Männer sind nicht so heldenhaft wie Sie, Mylord“, fuhr Basil augenzwinkernd fort.
„Dann müssen sie blind und dumm sein“, schnappte Mor- gan.
Basil grinste süffisant. „Wie galant Sie sind, Mylord. Kein Wunder, daß alle Damen ihr Herz an Sie verlieren.“ Basils Stimme troff vor Servilität.
Daniela streifte Morgan mit einem verstohlenen Blick. Er wirkte durchaus nicht geschmeichelt, ganz im Gegenteil. Wut blitzte aus seinen Augen, und seine Brauen waren finster zusammengezogen. Seine harte Kinnlinie verhieß nichts Gu- tes.
„Ich bin keineswegs galant, Houghton, nur aufrichtig. Ihre Schwester ist die faszinierendste Frau in diesem Saal.“
Er log natürlich. Daniela hatte ja das Lächeln gesehen, mit
dem Morgan Lady Elizabeth verwöhnt hatte. Trotzdem segnete sie ihn im stillen dafür, daß er sie verteidigte. Sie konnte sich nicht erinnern, daß ein Mann sie je verteidigt hatte.
Morgan verbeugte sich vor Daniela, nahm ihre Hand und zog sie an die Lippen. Ein Schauer der Erregung überlief sie. „Ich freue mich schon darauf, Sie während meines Aufenthaltes hier auf Greenmont besser kennenzulernen.“
Mit einem Lächeln, das ihr bis in die Seele drang, wandte er sich ab und ging.
Basil packte Danielas Arm. „Ich lasse nicht zu, daß dieser verdammte Schürzenjäger dich in die endlose Zahl seiner Er- oberungen einreiht. Du wirst dich von Lord Morgan fernhalten, solange er hier ist.“
Aufmüpfig musterte sie ihren Bruder. „Da mein Ruf ja bereits ruiniert ist, dürfte das doch wohl keine Rolle mehr spielen. Au- ßerdem, was soll ich denn machen, wenn er mich anspricht, so wie er es heute abend getan hat.“
„Wenn das stimmt, dann sicher nur aus einem Grund. Er kennt deine schändliche Vergangenheit und will sich nur ein bißchen mit dir amüsieren.“
Daniela fürchtete, daß ihr Bruder recht hatte.
„Ich warne dich. Ich werde nicht zusehen, wie du hier auf Greenmont für ihn die Dirne spielst.“
„Ich habe noch nie für einen Mann die Dirne gespielt, weder hier noch sonstwo“, zischte Daniela zornig. „Weshalb glaubst du mir nicht?“
„Weil es gelogen ist.“ Noch bevor sie etwas erwidern konnte, stolzierte Basil davon.
Daniela blinzelte die Tränen fort, die ihr in die Augen stie- gen. War ihr unverdienter schlechter Ruf wirklich der Grund, weshalb Lord Morgan sie angesprochen hatte?
Aufgrund seiner zweideutigen Bemerkungen hatte sie zu- nächst gefürchtet, er hätte sie wiedererkannt. Nachdem sie dann aber miterlebt hatte, wie unverblümt er Fletcher angegangen war, hielt sie es für äußerst unwahrscheinlich. Da er offenbar kein Blatt vor den Mund nahm, hätte er ihr sicher sofort auf den Kopf zugesagt, daß er in ihr den Straßenräuber wiedererkannt hatte.
Daniela mußte unbedingt vermeiden, daß er ihr Geheimnis er- riet. Sie würde sehr vorsichtig sein und ihn so gut wie möglich meiden müssen.
Wie kam es nur, daß dieser Gedanke sie regelrecht unglücklich machte?
Als Daniela den Ballsaal betrat, war Morgan sicher gewesen, daß sie es war, die seine Kutsche angehalten hatte. Ihre Größe und ihr flammendes Haar hatten sie verraten. Doch dann ka-
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