Marlene Suson 3
Gedanke traf sie wie ein Dolchstoß.
„Nein!“ stieß Daniela so heftig hervor, daß er fragend die Brauen hob.
„Weshalb nicht? Sie wirken auf mich nicht wie eine Frau, die viel auf Konventionen gibt.“
Seine Antwort war die eindeutige Bestätigung ihrer schlimm- sten Befürchtungen. Ihre Vergangenheit war ihm zu Ohren ge- kommen. Tief gedemütigt sagte sie: „Bitte, ich möchte mich lieber setzen.“
Ihre Stimme klang so gequält, daß er sie stirnrunzelnd betrach- tete. Doch dann nahm er ihren Arm und führte sie von der Tanz- fläche. Daniela war sich all der neugierigen, süffisanten Blicke überdeutlich bewußt.
„Wieso sind wir uns nicht schon in London begegnet?“ fragte er. „Sind Sie während der Saison nicht dort?“
„Nicht mehr seit meinem Debüt vor sechs Jahren.“
„Weshalb nicht?“
„Sie haben doch gewiß von dem Eklat gehört, mit dem meine Einführung in die Gesellschaft endete.“
„Nein. Wieso glauben Sie, daß ich davon gehört hätte?“
„Sie haben mich um einen dritten Tanz gebeten.“
Begriffsstutzig sah er sie an. „Was hat das eine mit dem an- deren zu tun? Ich habe Sie um den Tanz gebeten, weil ich noch einmal mit Ihnen tanzen wollte. Aus keinem anderen Grund.“
Danielas Herz begann aufgeregt zu klopfen.
In diesem Augenblick erregte jemand hinter ihrem Rücken Morgans Aufmerksamkeit. Sofort verschwand das vergnügte Lä- cheln aus seinen Augen und machte einem Ausdruck unmißver- ständlichen Abscheus Platz. Überrascht wandte Daniela den Kopf, um zu sehen, wer einen solchen Widerwillen in ihm er- regte. Sie erblickte Sir Waldo Fletcher. Offensichtlich verachtete Morgan diesen Mann genauso wie sie.
Womöglich noch mehr. Diese Entdeckung steigerte ihre Wert- schätzung für Lord Morgan erheblich. Vielleicht hatte sie ihn doch etwas vorschnell beurteilt, als sie sich nur auf den allge- meinen Klatsch verlassen hatte. Sie wußte ja nur zu gut, wie unverdient ihr eigener schlechter Ruf war.
„Ich hatte noch nicht die Ehre, Ihren Begleiter kennenzu- lernen, Lady Daniela.“ Bei Sir Waldos salbungsvollem Tonfall kroch Daniela eine Gänsehaut über den Rücken. Wieso ver- abscheute Lord Morgan diesen Mann dermaßen, wenn sie sich
doch gar nicht kannten? „Würden Sie so liebenswürdig sein, uns miteinander bekannt zu machen?“
Als Daniela ihm den Wunsch erfüllte, rief Fletcher in höchsten Tönen: „Was für ein besonderes Vergnügen, Sie kennenzulernen, Mylord!“
Morgan schwieg, doch sein Gesichtsausdruck verriet, daß das Vergnügen nicht auf seiner Seite war.
„Ich hoffe aus tiefstem Herzen, daß Sie mir dabei helfen wer- den, dieses unglückselige Mißverständnis zwischen Ihrem Bru- der, dem Herzog, und mir aus der Welt zu schaffen“, fuhr Sir Waldo kriecherisch und mit vom Champagner schwerer Zunge fort. „Ich fürchte, seine Antipathie rührt daher, daß er mir die romantische Beziehung zu seiner Gemahlin, die natürlich aus der Zeit vor der Heirat datiert, nicht vergeben kann.“
In Morgans Augen trat eine so mörderische Wut, daß Fletcher erschrocken einen Schritt zurücktaumelte. „Die Antipathie mei- nes Bruders dürfte sich noch um ein Vielfaches steigern, wenn er erfährt, was für Behauptungen Sie in die Welt zu setzen wagen. Eine Beziehung zwischen seiner Gemahlin und Ihnen hat es nie gegeben. Lady Rachel fand Sie immer ebenso abstoßend wie der Herzog und ich, Sie schleimiges Reptil!“
Obwohl Daniela Morgan aus tiefstem Herzen zustimmte, war sie doch über seine brutale Direktheit erschrocken. An Fletchers Gesichtsausdruck erkannte sie, daß es ihm ebenso ging.
Charlottes Bemerkung von vorhin fiel ihr wieder ein. Was für ein fieses Ekel Sir Waldo wird, wenn er nicht mehr nüchtern ist. Außerdem lügt er dann schlicht das Blaue vom Himmel herunter.
Der Schock über Morgans drastische Maßregelung schien ihn augenblicklich zu ernüchtern. „M ... Mylord“, stammelte er. „Einen solchen Affront kann ich nicht hinnehmen.“
Ein grimmiges Lächeln umspielte Morgans Lippen. „Dann erwarte ich Ihre Forderung. Ich bevorzuge Pistolen. Ist Ihnen morgen früh recht?“
Das rote Gesicht des Baronets wurde so weiß wie sein Spitzen- jabot. Die unerwartete Wendung, die das Gespräch genommen hatte, schien ihn ebenso zu bestürzen wie Daniela. „Mylord!“ quietschte er entsetzt. „Ich halte nichts davon, einen Mann zu erschießen, um meine Differenzen mit ihm beizulegen.“
„Zumindest nicht von vorn.“
„Sie ... Sie wollen mir
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