Marlene Suson 3
lieb war. Verdammt! Wenn man schon mal auf Wolken angewiesen war!
Sie beschloß, im Schutz der Bäume zu warten, bis sie Fletchers Kutsche kommen hörte. Ein leises, kaum hörbares Knacken un- ter den Bäumen rechts von ihr ließ vermuten, daß dort irgendwo ein Tier sein mußte. Wahrscheinlich ein Reh.
Plötzlich wurden ihr die Zügel aus der Hand gerissen.
„Hände hoch, oder du kriegst mein Schießeisen zu spüren“, bellte eine schroffe Männerstimme neben ihr.
Daniela fuhr erschrocken herum, und ihr Blick fiel auf einen Mann, der neben ihr stand.
„Hände hoch, verdammt noch mal!“ knurrte die kehlige Stimme.
Daniela gehorchte.
Als ihre Hände hochfuhren, stieß sie damit gegen die breite Krempe ihres Hutes, und er flog ihr vom Kopf. Das Haar fiel ihr auf die Schultern herab.
Daniela konnte im Mondlicht deutlich einen großen Mann erkennen, der mit einer Pistole auf sie zielte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, von seinem breitrandigen Hut bis hinunter zu den Stiefeln. Selbst die Maske, die sein Gesicht verbarg, war schwarz.
„Mir scheint, ich hab den Hochstapler erwischt, der mich nach- macht. Noch dazu’n verdammtes Frauenzimmer, was?“ Seine Stimme klang ausgesprochen verärgert.
„Sind Sie etwa Gentleman Jack?“ keuchte Daniela.
„Klar, wer sonst?“
Ein Wunder war geschehen! Daniela war im siebten Himmel. Ihr Idol war gekommen, und ihre geheimsten Träume hatten sich erfüllt. Sie konnte es kaum glauben.
Vielleicht war es ja auch nur ein Trugschluß. Mit seiner rau- hen, kehligen Stimme und der nicht sehr kultivierten Redeweise hörte er sich ganz und gar nicht so an, wie sie sich ihn vorgestellt hatte. Sie hatte erwartet, daß er wie ... eben wie ein Gentle- man wirkte und eine angenehme, volltönende Stimme hätte, wie beispielsweise Lord Morgan.
Argwöhnisch musterte sie den maskierten Mann. „Sind Sie sicher, daß Sie Gentleman Jack sind?“
„Also wirklich, glaubst du etwa, ich wüßte nicht, wer ich bin? Und jetzt nimm mal freundlicherweise die Füße aus den Steigbügeln.“
Daniela gehorchte. Ohne die Pistole aus der Hand zu legen, packte er sie um die Taille, zerrte sie ziemlich unsanft aus dem Sattel und stellte sie auf die Füße.
Daniela schaute zu ihm auf. Er war so groß und breitschultrig wie Lord Morgan. Auch seine harte Kinnlinie erinnerte sie an ihn. Ob Gentleman Jack hinter seiner Maske wohl ebenso gut aussah wie Lord Morgan?
Und ob er wohl auch diese unvergleichlichen Gefühle in ihr wecken konnte?
Der Straßenräuber ließ Daniela nicht sofort los, sondern hielt sie weiter an sich gedrückt. Und plötzlich spürte Daniela das- selbe Herzklopfen wie damals, als sie Lord Morgan zum ersten- mal gesehen hatte. Es erleichterte sie unendlich, daß Gentleman Jack die gleiche erregende Wirkung auf sie hatte wie Seine Lordschaft.
Als der Straßenräuber sie wieder losließ, richtete er erneut den Lauf seiner Waffe auf sie. „Nimm die Hände wieder hoch“, befahl er.
Daniela tat, wie ihr geheißen.
„Warum machst du ausgerechnet mich nach?“
Daniela lächelte. „Weil Sie mein Held sind, Gentleman Jack.“
Für einen Augenblick musterten seine Augen hinter der Maske
sie forschend. „Wollte schon immer der Held einer hübschen Frau sein.“ Seine Stimme klang erfreut.
Und Daniela war ebenso erfreut, weil er sie für hübsch hielt.
Plötzlich fuhr er mit der Hand unter ihren weiten Mantel und zog rasch Lord Morgans Pistolen aus ihrem Gürtel, erst die eine, dann die andere.
„Was machen Sie da?“ protestierte Daniela.
„Will nur sichergehen, daß du deinen Helden nicht über’n Hau- fen schießt. Sind ja mächtig tolle Schießeisen, die du da hast. Wo hast du sie her?“
„Ich ... hm ... habe sie mir ausgeborgt und muß sie darum unbedingt wiederhaben. Ich muß sie nämlich zurücklegen, bevor ihr Besitzer ihr Fehlen bemerkt.“
„Ich kann Frauenzimmer nicht leiden, die ‘nem Mann die Pistolen klauen“, murrte Gentleman Jack ungehalten.
„Aber ich hatte doch keine andere Wahl“, begehrte Daniela auf. Sie wollte um keinen Preis, daß er schlecht von ihr dachte.
„Nein?“ fragte er skeptisch. „Wieso nicht?“
„Das ist eine viel zu lange Geschichte, um sie Ihnen zu erzäh- len.“ Und außerdem wollte Daniela nicht zugeben, daß sie sich von einem ihrer Opfer hatte überrumpeln und die Pistolen weg- nehmen lassen. „Warum sind Sie nach Warwickshire gekommen, Gentleman Jack?“
„Um hier mal aufzuräumen. Kommt nicht in Frage, daß
Weitere Kostenlose Bücher