Marlene Suson 3
bringen, und dies war die sicherste Art.
„Laß mich auf meinem eigenen Pferd reiten“, bat sie. „So kommen wir auch viel schneller voran.“
Er lachte spöttisch auf. „Und du könntest mir auch viel schnel- ler wieder entwischen. Ich habe meine Lektion gelernt, was dich betrifft. Dir kann man ja nicht über den Weg trauen.“
„Aber ich kann doch so nicht reiten! Es tut furchtbar weh.“
„Wenn du versprichst, brav vor mir sitzen zu bleiben, darfst du dich aufsetzen. Wenn du aber wieder auf mich losgehst, landest du sofort auf dem Bauch, und das dürfte dann eine sehr unerfreuliche Reise für dich werden.“ Morgan bluffte nur. Natürlich würde er sie nicht einer solchen Tortur aussetzen, aber zum Glück wußte sie das ja nicht. „Also, habe ich dein Wort?“
Daniela zögerte. Als sie schließlich sprach, zitterte ihre Stimme vor unterdrücktem Zorn. „Ja, du hast mein Wort.“
Er packte sie um die Taille und zog sie hoch, so daß sie seitlich vor ihm saß. „Und jetzt schwing dein Bein hinüber.“
Sie gehorchte. Morgan legte den linken Arm um sie und drückte sie an sich.
Sofort reagierte sein Körper. Er unterdrückte ein Stöhnen, als ihm klar wurde, daß er es wohl war, dem ein unerfreulicher Ritt bevorstand.
Als Black Ben wieder antrabte, fragte Daniela: „Wohin reiten wir?“
„Nach Royal Elms.“
„Dein erlauchter Bruder wird mich nicht über die Schwelle lassen, wenn er mich in meinem Aufzug sieht.“
Morgan antwortete nicht, doch er fürchtete, daß Daniela recht haben könnte.
16. KAPITEL
Morgan schob Daniela vorwärts, und sie betrat zögernd das groß- artige Herrenhaus von Royal Elms. Sie kamen in eine prächtige Marmorhalle, die über zwei Stockwerke reichte. Eine breite Mar- mortreppe führte hinauf zu einer Galerie, die von einer kunst- voll gearbeiteten Marmorbalustrade begrenzt wurde. Die Größe und Erhabenheit der Halle versetzte Daniela in ehrfürchtiges Staunen.
Sie hatte schon gehört, daß Royal Elms sich mit jedem Kö- nigspalast messen konnte. Nachdem sie es nun gesehen hatte, mußte sie dem zustimmen. „Es ist sehr ... schön“, brachte sie mühsam hervor.
Sie waren die ganze Nacht hindurch geritten. Daniela war hungrig, todmüde und mit Straßenstaub bedeckt. Ihr war un- terwegs so warm geworden, daß sie ihren Mantel abgelegt hatte, und nun stand sie in ihren schwarzen Stiefeln und Hosen und dem staubigen Männerhemd hier in der prächtigen Halle.
„Was wird der Herzog nur von mir denken, wenn er mich in diesen Kleidern sieht“, flüsterte sie ängstlich.
Bevor Morgan antworten konnte, flog eine Tür auf. Heraus stob die schönste Frau, die Daniela je gesehen hatte, und stürzte sich auf Morgan.
„Da bist du ja endlich!“ rief sie und wirkte so begeistert und aufgeregt wie ein Kind bei der Heimkehr eines lang entbehrten Elternteils. „Da wird Jerome sich aber freuen!“
Selbst wenn Daniela nicht schon vermutet hätte, wer die Frau war, hätte Morgans Gesichtsausdruck bei der Begrüßung es ihr verraten. Dieses bezaubernde Geschöpf konnte niemand anderes sein als Rachel.
Daniela haßte sie auf den ersten Blick.
Nachdem die beiden sich aus ihrer überschwenglichen Umar- mung gelöst hatten, musterte Rachel Daniela neugierig.
Rachels Gesicht war wie ein Gemälde. Sie hatte einen vollen
kirschroten Mund, eine perfekt modellierte Nase und Augen von einem höchst ungewöhnlichen Blauviolett. Ihr Haar, schwarz und glänzend wie die Schwingen eines Kolkraben, bildete einen reizvollen Kontrast zu ihrem cremigen Teint. Wenn sie lächelte, erschienen zwei entzückende Grübchen zu beiden Seiten ihres Mundes.
Auch die Figur der Herzogin war makellos und wurde von dem eleganten veilchenfarbenen Seidenkleid, das genau zu ihrer Augenfarbe paßte, vorteilhaft zur Geltung gebracht.
Bei der Vorstellung, wie schäbig und zerzaust sie selbst neben dieser Frau wirken mußte, schrumpfte Daniela förmlich zusam- men. In Rachels Augen trat ein belustigtes Funkeln, als sie die unorthodoxe Kleidung ihres unerwarteten Gastes betrachtete. Daniela wünschte, sie hätte sich in ihren Mantel gewickelt, bevor sie das Haus betrat.
Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß der strenge, hoch- fahrende Duke of Westleigh nicht zu Haus sein möge. Seine Her- zogin schien sich zwar zu amüsieren, doch er würde es gewiß nicht tun.
Danielas Gebet wurde nicht erhört. Eine beeindruckende Ge- stalt, groß und blond, erschien auf der obersten Stufe der brei- ten Freitreppe.
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