Marlene Suson 3
gestand er ihr zu!
„Was haben Sie mit Ihrer Beute gemacht, Lady Daniela?“ fragte Rachel animiert.
Wieder antwortete Morgan für Daniela. „Das meiste hat sie unter den geknechteten Arbeitern verteilt, die in Waldo Fletchers Kohlengrube schuften.“
„Wie überaus nobel von Ihnen, Lady Daniela!“ War es möglich, daß Daniela in Rachels schönen Augen eine Spur Bewunderung entdeckte? „Fletcher ist ein ekelhafter Lump, finden Sie nicht auch?“
„Ganz sicher“, bestätigte Daniela im Brustton der Überzeu- gung. Es überraschte sie, daß sie sich für die Frau, die Morgan liebte, zu erwärmen begann.
„Und Sie sind äußerst couragiert.“ Rachel griff nach Da- nielas Hand. „Ich bin entzückt, daß Morgan Sie zu uns ge- bracht hat. Aber Sie sehen ja ganz erschöpft aus. Es würde mich nicht wundern, wenn mein gewissenloser Schwager Sie
die ganze Nacht nicht aus dem Sattel gelassen hätte. Kommen Sie, ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer und sorge für ein heißes Bad.“
„Ein ausgezeichneter Vorschlag“, fand auch ihr Gemahl. „Es freut mich sehr, daß Sie uns besuchen, Lady Daniela. Hier sind Sie in Sicherheit.“
Seine spontane Liebenswürdigkeit brachte Daniela völlig aus der Fassung. Er war so ganz anders als der kalte, hochmütige Mann, an den sie sich erinnerte.
Der Herzog lächelte. „Ich hoffe, Sie werden uns möglichst lange das Vergnügen Ihres Besuchs gönnen, Mylady.“
„Sie sind sehr freundlich, Euer Gnaden“, murmelte Daniela. Insgeheim aber beschloß sie, sich so bald wie irgend möglich wieder davonzustehlen.
„Papa, Papa!“ ertönte plötzlich eine Kinderstimme. Daniela senkte den Blick und sah einen kleinen, etwa zweijährigen Jungen, der das Bein des Herzogs umklammerte.
Jeromes Gesicht leuchtete vor Liebe und Vaterstolz auf. Er bückte sich und nahm den kleinen Jungen auf den Arm. Es war ein bildhübsches Kind mit den schwarzen Haaren seiner Mutter und den schon jetzt erkennbaren Zügen seines Vaters.
Mit einem scheuen Blick streifte der Kleine Daniela. Dann erblickte er Morgan. „Onkel Mor’en!“ Er strampelte begeistert auf dem Arm seines Vaters.
„Dies ist unser Sohn Stephen Morgan“, sagte der Herzog zu Daniela.
„Wir haben ihn nach unseren beiden Brüdern genannt“, klärte Rachel den Gast auf.
Der kleine Stephen streckte die Arme nach seinem Onkel aus. Als Morgan ihn nahm, schlang er ihm strahlend die Arme um den Hals.
„Kommen Sie“, sagte Rachel zu Daniela, „ich bringe Sie jetzt hinauf.“
Jerome lächelte Morgan zu. „Falls du dich von meinem Sohn losreißen kannst, hätte ich etwas mit dir zu besprechen.“
Obwohl der Herzog Daniela so freundlich willkommen ge- heißen hatte, würde er seinem Bruder jetzt vermutlich den Kopf abreißen, weil er so ein verrufenes Frauenzimmer unter sein Dach gebracht hatte.
Die Herzogin streckte ihrem Sohn die Hand hin. „Komm mit, Stephen, damit Papa mit Onkel Morgan reden kann.“
Der kleine Junge nahm ihre Hand, und sie wandte sich lä- chelnd Daniela zu. „Gehen wir. Nach einem schönen, heißen Bad werden Sie sich gleich viel besser fühlen.“
Rachels herzliche Gastfreundlichkeit überraschte Daniela. Die Herzogin war ganz anders, als sie erwartet hatte. Sie hatte Rachel für eine zweite Lady Elizabeth gehalten, doch in Wirklichkeit schien sie das genaue Gegenteil zu sein.
Während Daniela mit der Herzogin und ihrem Sohn nach oben ging, folgte Morgan seinem Bruder in dessen Arbeitszim- mer.
Bevor die Tür sich hinter den beiden Männern schloß, hörte Daniela Morgan mit kühler Stimme sagen: „Du brauchst dich nicht zu sorgen, Jerome. Ich habe Lady Daniela nicht mitge- bracht, weil ich Heiratsabsichten hege. Ich wollte sie nur vor dem Henker bewahren.“
Daniela wußte ja, daß Morgan nicht die Absicht hatte, sie zu heiraten. Weshalb mußte sie dann die aufsteigenden Tränen hinunterschlucken?
Abwartend sah Jerome Morgan an, der seinen Blick mit ernstem Gesichtsausdruck erwiderte.
„Du hast also nicht die Absicht, dich zu verheiraten?“
„Nein.“ Irritiert bemerkte Morgan das belustigte Funkeln in den Augen des Bruders.
„Und du hast Lady Daniela nur entführt, um sie vor einer Kugel oder dem Henker zu bewahren?“
„Ich begreife nicht, was dich daran so amüsiert.“
„Wirklich nicht? Das wundert mich. Alles im Leben wiederholt sich offenbar.“
„Ich habe keine Ahnung, wovon du redest“, gab Morgan irritiert zurück.
Während Jerome sich in einem Stuhl niederließ,
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