Mars Live
reproduzierenden kristallinen Struktur anfängt. Natürlich ist das alles nur eine Theorie. Ich verfüge nicht über die nötigen Werkzeuge für eine wirklich stichhaltige Strukturanalyse. Ich beabsichtige, heute abend einen Querschnitt durch eine Probe hinunterzufaxen, damit…«
»Darüber wollte ich mit Ihnen sprechen«, sagte Natascha Kirow. Sie war sieben Meter vor ihm, deshalb konnte er ihr Gesicht nicht sehen, doch über die Kopfhörer des Kommunikators konnten sie sich so unterhalten, als ob sie nebeneinander hergingen. »Wieso haben Sie niemandem erzählt, daß Sie die Gagarin gesehen hatten?«
»Ich habe sie eigentlich nicht gesehen«, antwortete Jeffries. »Ich glaubte nur, sie gesehen zu haben.«
»Aber sie haben die anderen Offizieren nicht davon unterrichtet.«
»Es gab nichts, worüber ich sie hätte unterrichten können. Ich habe das Ganze gleich wieder vergessen. Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich denke an den Lehm. Ich meine, wir sollten darüber fürs erste Stillschweigen bewahren«, sagte die Kirow.
»Das heißt, Sweeney nichts davon zu sagen.«
»Sweeney nichts davon zu sagen, Markson nichts davon zu sagen.« Natascha Kirow legte noch einen Schritt zu. »Sehen Sie es doch mal so: Angenommen, wir entdecken Leben auf dem Mars oder ein Missing Link oder eine vermeintliche Zelle oder was auch immer – wäre es uns recht, wenn die ersten Menschen, die davon erführen, Disney-Gerber oder Kashawahara-Globus wären oder welches Superkonglomerat auch immer letztendlich die Besitzrechte an diesem Film haben wird?«
»Wer sollte es Ihrer Meinung nach erfahren? Die Russen?«
»Das wäre nicht das Schlimmste. Und es gibt einige geeignete Länder, sogar sozialistische Länder, die nicht so rückständig sind wie die USA.«
Trotz der auf ein Drittel verringerten Schwerkraft auf dem Mars erwies sich das Erklimmen des langen Hangs als Strapaze. Jeffries Gesichtsmaske beschlug sich allmählich, und er hob den Kinnteil für einen winzigen Augenblick hoch, um einen köstlichen Schwall von frostiger, noch nie zuvor geatmeter Luft zu spüren. Vermischt mit dem Sauerstoff aus seinem Tank duftete sie würzig und exotisch.
Die Kräfte der Kirow mußten ebenso nachlassen wie die seinen, dachte er. Sie blieb wieder stehen. Doch diesmal verharrte sie in einer komischen Stellung, mit einer Hand an der Hüfte und die andere zur Gesichtsmaske erhoben und nach vorn gebeugt, nicht ausruhend; und als er sie eingeholt hatte, wußte er warum. Sie hatte die Einkerbung erreicht, die das Candor Chasma der Valles Marineris überblickte, eine Schlucht, die alles zwergenhaft erscheinen ließ, außer vielleicht den eindrucksvollen Himmel und die Meere der fernen Erde. Der Grund war nur etwa dreihundert Meter unter ihnen, am Fuß eines sandigen Hangs. Nach einer Breite von sechzehn Kilometern ragte die Südwand in schroffen Klippen fünftausend Meter und in der Ferne fast siebentausend Meter hoch auf. Die Klippen waren von farbigen Streifen und phantastischen, vom Wind geschnitzten Graten durchzogen. Die Nordwand war nicht ganz so hoch, zumindest hier am Eingang des Canyons, weiter im Innern jedoch ragte sie ebenfalls mindestens dreihundert Meter hoch auf. Beide Wände waren rot und rosafarben, von derselben Farbe wie der untere Bereich des Himmels, so daß der Horizont in der Ferne beinahe ebenso sanft verlief wie der des Meeres. Aus einem tiefen Einschnitt nahe des Grates der Südwand ergoß sich eine federige Gischt drei Kilometer weit in die Tiefe: eine Kaskade, die sie auf den ersten Blick für Wasser hielten, die jedoch, wie sie gleich darauf erkannten, aus Sand und Staub bestand, ein trockener ›Wasserfall‹, der von den Dünen oberhalb gespeist wurde. Der Boden des Canyons war dunkel, flach, zerfurcht und von einem Gewirr von Sprüngen durchzogen. Kleinere einmündende Canyons, jeder größer als der Grand Canyon, erstreckten sich in der Ferne nach Norden und Süden. Im Zentrum des Chasmas kauerte Candor Mesa wie eine Marssphinx, die das weite Gelände überwachte.
Als er den Piepser hörte, sah Jeffries zu seinem Dicktracy. Sie hatten beinahe zehn Minuten dagestanden und über den Canyon geblickt, ohne ein einziges Wort zu sprechen.
Natascha Kirow stellte eine Kreisschaltung ihrer Kommunikatoren her.
»Tut mir leid, wenn ich störe«, sagte Bass, »aber Sweeney hat soeben angerufen und einige Lokalisierungsdaten durchgegeben. Er sagt, die Gagarin könnte drunten im Canyon sein, in der Nähe der Nordwand.«
»Das
Weitere Kostenlose Bücher