Mars Live
Geschwindigkeitsverzögerern und Videoschleifen, befreite der Digitalisierer das Bild auf der Leinwand vollkommen von der wirklichen Welt, die es ›geschickt‹ hatte, und reduzierte den Schauspieler zu nichts anderem als einer Requisite, die mit einer Vielfalt von Kulissen und Einstellungen aufgenommen wurde, um später in die richtige Dimension gebracht und durchgeschüttelt und eingeflickt zu werden, um älter oder jünger gemacht, nach rechts oder links gedreht, geküßt oder umgebracht zu werden, je nach Drehbuch, das häufig erst lange nach Abschluß der Dreharbeiten gekauft wurde. Die Arbeit, die ohnehin nur noch der Anschein von Schauspielerei gewesen war, war nun nicht einmal mehr die schauspielerische Darstellung von Schauspielerei. Alles, was ein Kameramann zu tun hatte, war, genügend Bildmaterial zu produzieren, damit die Regisseure später mit den Bildern alles anstellen konnten, was sie wollten. Wenn es die Gilde nicht gegeben hätte, hätte überhaupt kein Bedarf mehr an Filmstars oder auch nur an Schauspielern bestanden.
Fonda-Fox hatte neidisch beobachtet, wie Bass und Jeffries sich auf den Weg zu den Dünen gemacht hatten, um die Agnew zu suchen, und noch neidischer, wie Natascha Kirow ihnen eine halbe Stunde später gefolgt war. Nun, da die eigentlichen Dreharbeiten vor Ort begonnen hatten, waren die Tage, da er den Vierten Offizier spielte, vorbei. Er war zusammen mit Glamour und Greetings dafür verantwortlich, daß etwas ›in den Kasten kam‹, indem er im Kreis herum durch den Sand lief.
»Mister Fonda-Fox?« Glamour pflegte die Schauspieler stets mit ›Mister‹ anzureden, wenn er offiziell den Regisseur mimte.
»Aber klar, tut mir leid.« Fonda-Fox nahm Greetings an der Hand. Während sie im Kreis herumstapften, stob der pulverige Sand in rosafarbenen Wolken um ihre Füße herum auf – Wolken, die beinahe ebenso schnell wieder vergangen waren, wie sie entstanden, da sie von so wenig Luft gehalten wurden. Greetings Gesicht drückte eine Mischung aus Vorfreude, Vergnügen und Schmerz aus, die Fonda-Fox schon in so vielen Filmszenen gesehen hatte. Sie mußte pinkeln.
»Glamour? Könnt ihr mich hören?« plärrte eine Stimme. Es war Natascha Kirow.
»He!« beschwerte sich Glamour. »Ich dachte, ihr wolltet euch aus dem Kanal 3 raushalten, während wir arbeiten.«
»Tut mir leid, Lou, aber wir brauchen hier deine Hilfe. Wir haben ein Problem mit der Agnew. Bring eine Schaufel mit.«
Obwohl der Marssand leicht war, brauchten Fonda-Fox, Glamour und Jeffries eine Stunde, um die eingegrabene Flanke der Spiro Agnew auszubuddeln. Als Natascha Kirow auf das Gefährt gestoßen war, weil sie die falsche Richtung durch die Dünen eingeschlagen hatte, war nur die Hälfte davon zu sehen gewesen. Trockener Lehm klebte an den Streben und Tanks wie Holzschwamm an einem Baumstamm und hatte seine Konturen verfälscht und ihm ein Aussehen von Gips verliehen.
Während die Männer buddelten, schickte Natascha Kirow Greetings zum Schiff zurück, damit sie versuchte, Sweeney anzurufen. Dann marschierten sie und Bass über die Düne, um sich die andere, oder -wie sie es nannte – die Falsche Agnew anzusehen. »Gespenstisch«, war alles, was sie sagte. Sie brach ein Stück ab. Es bestand aus demselben weißen Lehm, der die Agnew überzog, nur daß in diesem Fall aus ihm der Gegenstand nachgeformt war, während er ihn im anderen Fall verbarg.
»Ich habe Sweeneys Frau dran«, sagte Greetings, die sich über Kanal 4 einschaltete. »Sie sagt, er hilft seinem Vetter dabei, im Valley Motelzimmer zu streichen. Sie sagt, er ist bei CM rausgeflogen. Sie sagt…«
»Laß dir die Nummer von seinem Vetter geben, und versuche es weiter«, unterbrach die Kirow sie, bevor sie den Ton abschaltete und sich wieder auf den Weg über die Düne machte.
Nachdem sie ausgegraben war, sah die echte Agnew aus, als wäre sie von einem Pilz befallen. Der LOX-Tank glänzte und war sauber und dampfte ein wenig von übergeflossenem Treibstoff. Der untere Teil des Treibstoff- oder Dieseltanks war mit Riffeln aus pulverigem weißem Lehm bedeckt. Jeffries puhlte ein paar Proben davon ab, während Bass die Pegel der Energiespeicher prüfte. Beide Anzeiger standen bei 99,43, doch er traute ihnen nicht. Er klopfte mit den Fingerknöcheln gegen den Treibstofftank, aber es war unmöglich, in der dünnen Marsatmosphäre durch den Anzug hindurch etwas zu hören. Er trat einen Schritt zurück und schlug mit der Schaufel gegen den Tank.
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