Mars Trilogie 1 - Roter Mars
dauernd auf ihr Armbandgerät, auf dem vor dieser Panne Arkady jede Sekunde hätte erscheinen können. Auf dem jeder Beliebige der Ersten Hundert hätte auftauchen und sich für sicher erklären können. Und dann blickte sie von dem kleinen leeren Quadrat auf das Land um sie herum, das plötzlich so viel größer, wilder und leerer war als je zuvor. Es war erschreckend. Nichts als zerklüftete rostfarbene Hügel, so weit das Auge reichte, selbst wenn man in der Dämmerung in den Flugzeugen saß und nach einem der kleinen Landeplätze Ausschau hielt, die auf der Karte verzeichnet waren, und die, wenn man sie ausgemacht hatte, wie kleine Bleistifte aussahen. Eine so große Welt! Und sie waren in ihr allein. Selbst auf Navigation konnte man sich nicht mehr verlassen. Sie blieb nicht den Computern überlassen. Man mußte Straßentransponder benutzen und Koppelnavigation und visuelle Bezugspunkte, indem sie ängstlich in der Morgendämmerung die nächste Landebahn in der Wildnis suchten. Einmal brauchten sie weit bis in den Vormittag, um einen Platz nahe Dao Vallis zu finden. Danach entschloß Yeli sich, Pisten zu folgen. Er flog in der Nacht tief und beobachtete das kleine silbrige Band, welches sich unter ihnen im Sternenlicht dahinschlängelte, während er die Transpondersignale mit den Karten verglich.
Und so schafften sie es, in das weite Tiefland des Hellas-Beckens hinunterzufliegen, indem sie der Piste nach Low Point Lakefront folgten. Dann kam im roten Licht des Horizonts und den langen Schatten des Sonnenaufgangs ein See aus zerbrochenem Eis in Sicht. Er füllte den ganzen westlichen Teil von Hellas. Ein See!
Die Piste, der sie gefolgt waren, führte direkt ins Eis. Die gefrorene Küstenlinie war ein gezacktes Wirrwarr von Eisplatten, die schwarz oder weiß oder sogar blau oder jadegrün waren. Alles zusammen aufgehäuft, als ob eine Gezeitenwoge die Schmetterlingssammlung des Großen Mannes zerbrochen und über einem unfruchtbaren Strand ausgeschüttet hätte. Dahinter zog sich der gefrorene See bis über den Horizont dahin.
Nach einigen Sekunden des Schweigens sagte Ann: »Sie müssen das Wasserlager von Hellesponrus zerbrochen haben. Das war wirklich groß, und es würde bis Low Point hin auslaufen.«
»Also muß das Mohole Hellas überflutet sein«, sagte Yeli.
»Richtig! Und das Wasser auf seinem Boden wird sich erwärmen. Wahrscheinlich so weit, daß die Oberfläche des Sees nicht gefriert. Schwer zu sagen. Die Luft ist zwar kalt, aber durch die Konvektion könnte es eine offene Stelle geben. Falls nicht, dann wird es bestimmt dicht unter der Oberfläche flüssig sein. Es muß wirklich starke Konvektionsströme geben. Aber die Oberfläche...«
»Das werden wir gleich sehen«, sagte Yeli. »Wir werden darüberfliegen.«
Nadia wandte ein: »Wir sollten landen.«
»Nun, das werden wir, sobald wir können. Außerdem scheint sich die Lage etwas zu beruhigen.«
»Das kommt nur daher, daß wir von den Nachrichten abgeschnitten sind.«
»Hmm.«
Es stellte sich heraus, daß sie die ganze Strecke quer über den See fliegen mußten, um auf der anderen Seite zu landen. Es war ein unheimlicher Morgen, tief über eine zerrissene Fläche zu fliegen, die an das Eismeer der Erde erinnerte, nur daß hier die Eisströme die Landschaft wie die offene Tür einer Tiefkühltruhe bereiften und Farben durch das ganze Spektrum aufwiesen, natürlich mit Schwerpunkt auf Rot. Aber dadurch kamen das gelgentliche Blau und Grün und Gelb nur noch besser heraus als Partikel eines immensen chaotischen Mosaiks.
Und dort im Zentrum, wo sich selbst in der Höhe, in der sie flogen, der See aus Eis nach jeder Richtung bis zum Horizont erstreckte, stand eine gewaltige Dampfwolke, die Tausende von Metern in die Luft aufstieg. Als sie diese vorsichtig umkreisten, sahen sie, daß das Eis darunter in Berge und Schollen zerbrochen war, die dicht gepackt in sprudelndem dampfendem schwarzem Wasser schwebten. Die schmutzigen Berge rotierten, stießen zusammen, überschlugen sich, und dicke Fluten schwarzen Wassers spritzten hoch. Wenn diese Wände hinunterfielen, breiteten sich in konzentrischen Kreisen Wellen aus, die alle Berge, die vorbeizogen, auf und ab hüpfen ließen.
In beiden Flugzeugen herrschte Stille, während die Insassen dieses für den Mars unpassende Schauspiel betrachteten. Schließlich, nachdem sie zweimal schweigend die Dampfsäule umrundet hatten, flogen sie in westlicher Richtung weiter über die zerrissene Einöde.
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