Mars Trilogie 1 - Roter Mars
beruhigte sich für einen Moment und gefror. Der explosionsartige Lärm sank zu einem heftigen tiefen Gemurmel ab. »Es ist wie der Grand Canyon in einem Super-Himalaya- Maßstab«, sagte Sax offenbar zu sich selbst, obwohl nur Ann ihn auch hören konnte. »Die Schlucht von Kala Gandaki ist ungefähr drei Kilometer tief, nicht wahr? Und ich denke, daß Dhaulagiri und Annapurna nur dreißig Kilometer voneinander entfernt sind. Wenn man das mit einer Flut wie dieser füllen würde...« Es gelang ihm nicht, eine vergleichbare Flut zu finden. »Ich möchte wissen, was all dieses Wasser so hoch auf dem Tharsisbuckel gemacht hat.«
Ein Knallen wie von Kanonenschlägen kündigte einen neuen Schwall an. Die weiße Oberfläche der Flut zerriß und taumelte stromabwärts. Plötzlich umgab sie weißer Lärm und übertönte alles, was sie sagten oder dachten, als ob das Weltall erbebte. Eine Stimmgabel im Baß...
»Ausgasen«, sagte Ann. »Ausgasen.« Ihr Mund war steif, sie spürte in ihrem Gesicht, wie lange es her war, seit sie zuletzt gesprochen hatte. »Tharsis ruht auf hochquellendem Magma. Gestein allein konnte das Gewicht nicht tragen. Der Buckel wäre eingesunken, wenn er nicht durch einen aufquellenden Strom im Mantel getragen wäre.«
»Ich dachte, es gäbe keinen Mantel.« Sie konnte Sax durch den Lärm so eben hören.
»Nein, nein.« Es war ihr gleich, ob er sie hören konnte oder nicht. »Der Strom ist nur langsamer geworden. Aber es gibt immer noch Strömungen. Und seit der letzten großen Flut haben sie die hochgelegenen Reservoire von Tharsis aufgefüllt. Und Wasserdepots wie Compton warm genug gehalten, daß sie flüssig blieben. Schließlich wurde der hydrostatische Druck extrem hoch. Aber mit weniger Vulkanismus und weniger großen Meteoriten-Einschlägen wurde es nicht aufgebrochen. Es könnte eine Milliarde Jahre voll gewesen sein.«
»Meinst du, daß Phobos es geknackt hat?«
»Vielleicht. Noch wahrscheinlicher das Schmelzen eines Reaktors.«
»Wußtest du, daß Compton so groß war?« fragte Sax.
»Ich habe nie davon gehört.«
»Nein.«
Ann starrte Sax an. Hatte er gehört, daß sie das sagte?
Er hatte es. Daten verheimlichen. Sie merkte, daß er schockiert war. Er konnte sich keinen hinreichenden Grund für Verheimlichung von Daten vorstellen. Vielleicht lag darin der Grund dafür, daß sie einander nicht verstehen konnten. Wertsysteme, die auf völlig verschiedenen Annahmen beruhten. Ganz unterschiedliche Arten von Wissenschaft.
Er räusperte sich. »Wußtest du, daß es flüssig war?« »Ich habe es mir gedacht. Aber jetzt wissen wir es.« Sax kniff die Augen zusammen und rief auf seinem Schirm das Bild von der linken Kamera auf. Schwarzes sprudelndes Wasser, grauer Schutt, zertrümmertes Eis, stehende Wellen, die sofort gefroren, zusammenstürzten und in Wolken von Reif dampf davonfegten... Der Lärm hatte wieder seine prasselnde Jetstärke erreicht. Sax rief: »Ich hätte es nicht so gemacht!« Ann starrte ihn an. Er sah ruhig auf den Bildschirm. »Ich weiß«, erwiderte sie. Und dann war sie wieder des Sprechens überdrüssig, da sie seine Nutzlosigkeit satt hatte. Es war nie mehr gewesen als auch jetzt. Ein Flüstern gegen das große Dröhnen der Welt, halb gehört und noch weniger verstanden.
Sie fuhren so schnell sie konnten durch das Dover-Tor und folgten der Calais-Rampe, wie Michel ihre Bank nannte. Sie kamen nur nervenaufreibend langsam vorwärts. Es war ein schwerer Kampf, den Rover über den Felssturz zu bringen, der diese schmale Terrasse bedeckte. Überall waren Felsblöcke verstreut, und die Flut verzehrte das Land zu ihrer Linken und verengte die Bank zusehends. Landrutsche kamen vor und hinter ihnen von den Wänden der Klippe herunter. Mehr als einmal krachten einzelne Steine auf das Wagendach, daß sie alle hochsprangen. Es war durchaus möglich, daß ein größerer Brocken sie ganz unverhofft treffen und wie Käfer zerquetschen würde. Diese Möglichkeit bedrückte sie alle, was Ann freute. Selbst Simon ließ sie in Ruhe. Er stürzte sich in die Navigation und ging mit Nadia, Frank oder Kasei auf Erkundungszüge - froh, wie sie meinte, von ihr wegzukommen. Und warum nicht?
Sie rumpelten mit einigen Kilometern in der Stunde dahin. Sie fuhren eine ganze Nacht und den folgenden Tag durch, obwohl der Dunst sich so weit abgeschwächt hatte, daß es möglich war, sie von Satelliten aus zu orten. Sie hatten keine andere Wahl.
Und dann waren sie durch das Dover-Tor
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