Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
Also ließen sie einander in Ruhe, außer wenn der (die) eine die Partnerwahl des (der) anderen ernsthaft mißbilligte. So beurteilten sie in gewisser Weise die Partner des anderen und fanden sich mit dem Einfluß des anderen ab. Und alles das ohne ein Wort, mit diesem einzigen sichtbaren Zeichen der Macht über den anderen. Sie trieben es mit vielen anderen Leuten, machten neue Bekanntschaften und Freundschaften und hatten Affären. Manchmal sahen sie sich wochenlang nicht. Aber dennoch, auf einem tieferen Niveau (Nirgal schüttelte unglücklich den Kopf, als er das Art klarzumachen suchte) >gehörten sie einander< wenn einer von ihnen jemals die Bindung bestätigen wollte, antwortete der andere auf die Verführung mit flammender Erregung, und sie explodierten. Das war in den drei Jahren, die sie in Sabishii waren, nur dreimal geschehen; aber Nirgal wußte aus diesen Begegnungen, daß sie beide verbunden waren - sicher durch ihre Kindheit und alles, was darin passiert war, aber auch durch noch mehr. Alles, was sie taten, war anders, als wenn sie es mit anderen taten, viel intensiver.
Unter seinen übrigen Bekanntschaften gab es nichts, das so mit Bedeutung oder Gefahr befrachtet gewesen wäre. Er hatte Freunde - ein Dutzend, hundert, fünfhundert. Er sagte immer ja. Er stellte Fragen und hörte zu und schlief selten. Er ging zu den Versammlungen von fünfzig verschiedenen politischen Organisationen und stimmte ihnen allen zu. Er verbrachte manche Nacht im Gespräch, entschied das Schicksal des Mars und dann der ganzen menschlichen Rasse. Mit manchen Menschen kam er besser aus als mit anderen. Er konnte mit einem Eingeborenen aus dem Norden sprechen und ihn sofort sympathisch finden und eine Freundschaft begründen, die ewig dauern würde. Das ging oft so. Aber gelegentlich wurde er durch eine Handlung höchst überrascht, die sich seinem Verständnis gänzlich entzog und ihn wieder daran erinnerte, was für ein klösterliches und sogar klaustrophobes Leben er in seiner Jugend in Zygote geführt hatte, das ihn in mancher Hinsicht so unschuldig ließ wie eine Fee, die unter einem Schneckenhaus erzogen wurde.
»Nein, es ist nicht Zygote, das mich geformt hat«, sagte er zu Art und schaute sich um, um sich zu vergewissern, daß Cojote wirklich schlief. »Man kann sich seine Kindheit nicht aussuchen. Das geschieht einem einfach. Aber danach kann man eine Wahl treffen. Ich habe mich für Sabishii entschieden. Und das hat mich wirklich gemacht.«
»Vielleicht«, sagte Art und rieb sich das Kinn. »Aber die Kindheit besteht nicht bloß aus diesen Jahren. Es sind auch die Meinungen, die einen danach formen. Das ist der Grund dafür, daß unsere Kindheit so lange währt.«
Eines frühen Morgens erleuchtete der tief pflaumenblaue Himmel den grandiosen Nordgrat von Acheron im Norden, der wie ein Manhattan aus massivem Fels aufragte, noch nicht in individuelle Wolkenkratzer zerschnitten. Das Canyonland darunter hatte verschiedene Farben und verlieh dem zerklüfteten Land ein buntes Aussehen. »Das sind eine Menge Flechten«, sagte Cojote. Sax kletterte in den Sitz neben ihm und drückte fast die Nase an die Frontscheibe. Er zeigte so viel Lebhaftigkeit wie überhaupt seit seiner Rettung.
Unmittelbar unter dem Gipfel der Acheronrippe war eine Reihe von Spiegelfenstern wie eine Diamantkette, und ganz oben auf dem Grat war ein langer grüner Federbusch unter dem flüchtigen Schimmer eines Zeltes. »Es sieht so aus, als ob es wieder in Besitz genommen worden wäre«, rief Cojote.
Sax nickte.
Spencer, der über ihre Schultern blickte, sagte: »Ich möchte wissen, wer da drin ist.«
»Niemand«, sagte Art. Sie sahen ihn an, und er fuhr fort: »Ich habe bei meiner Einweisung in Sheffield davon gehört. Es ist ein Projekt von Praxis. Sie haben es neu gebaut und alles fertig gemacht. Und jetzt warten sie bloß.«
»Warten auf was?«
»Eigentlich auf Sax Russell. Auf Taneev, Kohl, Tokareva, Russell...« Er sah Sax an und zuckte fast um Verzeihung bittend die Achseln.
Sax krächzte etwas, das wie ein Wort war.
»He!« sagte Cojote.
Sax räusperte sich und versuchte es noch einmal. Sein Mund schürzte sich zu einem kleinen O, und tief aus seiner Kehle kam ein schrecklicher Ton: »W-w-w-w...« Er schaute zu Nirgal hinüber und tat so, als ob dieser es wüßte.
»Warum?« fragte Nirgal.
Sax nickte.
Nirgal fühlte seine Wangen brennen, als ihm plötzlich ein elektrischer Schlag durch die Haut fuhr. Er sprang auf und
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