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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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die er in Zygote zu erlernen angefangen hatte, einen mathematischen Unterbau. In den Übungsstunden mit Etsa und in dem Werk selbst erkannte er, daß er etwas von der Begabung seiner Mutter geerbt hatte, das Ineinandergreifen aller Komponenten eines Systems deutlich zu sehen. Die Tage waren dieser außerordentlich faszinierenden Arbeit gewidmet. So viele Menschenleben, die dem Gewinn dieser Masse des Wissens geweiht gewesen waren! So mannigfach waren die Kräfte, die dieses Wissen ihnen in der Welt gegeben hatte!
    Dann konnte es nachts passieren, daß er bei einem Freund auf den Boden krachte, nachdem er mit einem hundertvierzig Jahre alten Beduinen über den Transkaukasischen Krieg gesprochen hatte. Und in der nächsten Nacht spielte er Baß-Stahltrommel oder Marimbas bis zum Morgen mit zwanzig anderen unter Kavajava stehenden Lateinamerikanern oder Polynesiern. In der folgenden Nacht lag er mit einer dunkelhäutigen Schönheit der Band im Bett. Diese Frauen waren so heiter wie Jackie in höchster Form und viel weniger kompliziert. Am nächsten Abend ging er etwa mit Freunden zu einer Aufführung von Shakespeares King John und beobachtete das große X, welches der Aufbau des Spiels machte, worin das Glück Johns hoch begann und tief endete, während das des Bastards unten anfing und oben endete. Zitternd saß er da und schaute die kritische Szene an, wo sich das X kreuzte, worin John den Tod des jungen Arthurs befiehlt. Danach ging er mit seinen Freunden die ganze Nacht in der Stadt spazieren. Sie redeten über das Stück und was es ihnen über das Schicksal gewisser Issei zu sagen hätte oder die verschiedenen Mächte auf dem Mars oder die Situation Mars/Erde selbst. Und dann, in der Nacht danach, nachdem er mit einigen von ihnen den Tag draußen verbracht und in seinem Bemühen, vom Land soviel wie möglich zu sehen, tiefe Becken ausgekundschaftet hatte, blieben sie vielleicht draußen und schliefen in einem kleinen Biwakzelt, kampierten in einem der hohen Ringwälle östlich der Stadt und wärmten sich eine Mahlzeit auf, wenn überall an dem purpurnen Himmel Sterne herauskamen und die alpinen Blumen in der Felswanne verblaßten, die sie alle umspannte wie eine gigantische Handfläche.
    Tag um Tag lehrten ihn diese wechselseitigen Beziehungen mit Fremden mindestens ebensoviel wie die Vorlesungen. Nicht, daß Zygote ihn völlig unwissend gelassen hätte. Seine Bewohner hatten eine solche Vielfalt menschlichen Verhaltens geboten, daß für Nirgal in dieser Hinsicht nicht mehr viele Überraschungen übriggeblieben waren. Er war tatsächlich, wie er zu verstehen anfing, in etwas aufgewachsen, das eine Art Asyl von Exzentrikern war, von Menschen, die durch jene überaus anstrengenden ersten Jahre auf dem Mars stark geprägt waren.
    Aber es gab trotzdem noch einige Überraschungen. Zum Beispiel waren die Eingeborenen aus den nördlichen Städten - und nicht nur sie, sondern fast jeder, der nicht aus Zygote kam - viel weniger körperlich kontaktfreudig untereinander, als Nirgal gewohnt war. Sie berührten, umarmten und liebkosten sich nicht so sehr, sie schubsten und schlugen sich weniger und badeten nicht zusammen, obwohl manche es in den öffentlichen Bädern von Sabishii lernten. Daher überraschte Nirgal diese Leute immer wieder durch seine Eigenart. Er sagte drollige Dinge. Er liebte es, den ganzen Tag zu laufen. Aus welchen Gründen auch immer - als die Monate vergingen und er an endlos zusammenhängenden Gruppen, Bands, Zellen und Gangs beteiligt war, wurde ihm bewußt, daß er irgendwie herausfiel, daß ihm eine Clique von Cafe zu Cafe und von Tag zu Tag folgte. Daß es so etwas gab wie >Nirgals Haufe<. Er lernte rasch, diese Aufmerksamkeit abzuwimmeln, wenn er sie nicht mochte. Aber manchmal gefiel sie ihm doch.
    Das geschah oft, wenn Jackie da war.
    »Schon wieder Jackie!« stellte Art fest. Es war nicht das erste und auch nicht das zehnte Mal, daß sie aufgetaucht war.
    Nirgal nickte und fühlte seinen Puls rasen.
    Auch Jackie war nach Sabishii gezogen, bald nach Nirgal. Sie hatte ein Zimmer in der Nähe genommen und besuchte einige der gleichen Kurse. Und in der fluktuierenden Gruppe ihrer Kommilitonen prahlten sie manchmal voreinander, besonders in der sehr häufigen Situation, wenn der eine oder die andere dabei war, jemanden zu verführen oder verführt zu werden.
    Aber bald lernten sie, daß sie sich nicht darin tummeln konnten, wenn sie nicht andere Partner vertreiben wollten. Das mochten beide nicht.

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