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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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und schluckte. »Aber wenn sie keine Warnung bekommen haben?«
    Nirgal übernahm das Steuer und sagte: »Laß uns zu dem Asyl in Australe fahren!«
    Er polterte über die Eisblumen mit der Höchstgeschwindigkeit, die der Wagen hergab, konzentrierte sich auf das Terrain und versuchte nicht zu denken. Er hatte nicht einmal Lust, zu der anderen Zufluchtsstätte zu fahren - um sie dann womöglich leer vorzufinden. Damit wäre seine letzte Hoffnung dahin, der einzige Weg, diese Katastrophe abzuwenden. Er wäre am liebsten gar nicht angekommen, sondern für immer um die Polkappe gefahren, ungeachtet der quälenden Besorgnis. Jackies Atem ging pfeifend, und von Zeit zu Zeit stöhnte sie. Bei Nirgal war es nur eine Benommenheit, eine Unfähigkeit zu denken. Ich fühle überhaupt nichts, dachte er verwundert. Aber alle möglichen Bilder von Hiroko blitzten ständig vor ihm auf wie auf den Bildschirm geworfen oder standen wie Gespenster draußen im treibenden Nebel. Es war sehr gut möglich, daß der Angriff aus dem Weltraum oder durch ein Projektil aus dem Norden erfolgt war. In diesem Falle hätte es keine Warnung gegeben. Die grüne Welt wurde ausgelöscht, und nur die weiße Welt des Todes wäre übriggeblieben. Die Farben aus allem herausgezogen wie in dieser Winterwelt aus grauem Nebel.
    Er straffte die Lippen und konzentrierte sich auf die Eislandschaft. Er fuhr mit einer Rücksichtslosigkeit, die ihm bisher fremd gewesen war. Die Stunden vergingen, und er bemühte sich nach Kräften, nicht an Hiroko, Nadia, Art oder Sax oder sonst einen der übrigen zu denken. Seine Familie, Nachbarn, seine Stadt und Nation - alle unter dieser einen kleinen Kuppel. Er krümmte sich über seinen verkrampften Magen und konzentrierte sich auf das Fahren, auf jeden kleinen Buckel und jedes Loch, dem er trotzen mußte in dem vergeblichen Bemühen, die Fahrt weniger holprig zu machen.
    Sie mußten etwa dreihundert Kilometer im Uhrzeigersinn fahren und dann den größten Teil der Länge von Chasma Australe hinauf, wo sich der Weg im Spätwinter verengte und so von Eisblöcken versperrt war, daß es nur eine einzige Route hindurch gab, die durch schwache kleine Transponderbaken markiert war. Hier war er gezwungen langsamer zu werden. Aber unter dem dunklen Nebel konnten sie alle Stunden durchfahren. Das taten sie, bis sie die niedrige Wand erreichten, die das Asyl bezeichnete. Es waren erst vierzehn Stunden seit ihrer Abfahrt von dem Tor von Gamete vergangen - eine große Leistung bei so zerklüftetem eisigem Terrain -, aber Nirgal bemerkte das nicht einmal. Wenn das Asyl leer war ...
    Wenn es leer war ... DieTaubheit in ihm verschwand rasch, als sie sich der niedrigen Wand am Anfang der Schlucht näherten. Kein Zeichen war zu sehen, daß irgendwer oder irgendwas da wäre. Nirgals Furcht brach wie weißes Magma aus Rissen in schwarzer Lava hervor. Sie spritzte heraus und schwappte durch ihn hindurch und wurde zu einer unerträglichen Zerreißprobe in jeder seiner Zellen ...
    Dann flackerte unten an der Wand ein Licht auf, und Jackie schrie »Ah!«, als hätte man sie mit einer Nadel gestochen. Nirgal beschleunigte, und der Wagen raste auf die Eiswand zu. Er hätte ihn beinahe daraufkrachen lassen. Im letzten Moment erst trat er auf die Bremse. Die großen Drahträder rutschten ganz kurz und kamen zum Stehen. Jackie stülpte ihren Helm auf und kletterte in die Schleuse. Nirgal kam nach, und nach einem quälend langsamen Druckausgleich ließen sie sich auf den Boden fallen und rannten zu der Schleusentür in einer flachen Nische des Eises. Die Tür ging auf, und zwei Gestalten in Schutzanzügen sprangen mit Gewehren in der Hand heraus. Jackie rief etwas über die allgemeine Frequenz; und binnen einer Sekunde drückten die sie an sich.
    So weit, so gut, obwohl man sich vorstellen konnte, daß sie sie bloß trösteten. Nirgal war immer noch von banger Erwartung gequält, als er hinter einer Frontscheibe Nadias Gesicht erblickte. Sie machte ihm ein Zeichen mit erhobenem Daumen, und er merkte, daß er den Atem seit einer Zeit angehalten hatte, die ihm wie die ganzen letzten fünfzehn Stunden vorkam. Jackie weinte vor Erleichterung, und Nirgal fühlte sich auch dazu geneigt; aber das völlige Verschwinden der Taubheit und dann die Furcht hatten ihn bloß erschüttert und erschöpft gemacht, jenseits von Tränen.
    Nadia führte ihn an der Hand in die Zufluchtsstätte, als ob sie dies verstünde. Und als die Schleuse geschlossen war und unter Druck

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