Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
Bestenfalls kannst du ihnen befehlen, anders zu handeln. Das ist aber keine Areoformung durch den Planeten, sondern Indoktrination, Umerziehungslager und dergleichen. Eine faschistische Areophanie.«
»Überredung«, entgegnete Hiroko. »Befürwortung, Argumentation durch Beispiel, Überzeugung durch Argumente. Es muß nicht Zwang sein.«
»Die aerogele Revolution«, sagte Ann sarkastisch. »Aber Aerogel hat sehr wenig Einfluß auf Geschosse.«
Mehrere Leute redeten zugleich, und für einen Moment war der Faden der Erörterung verloren. Die Diskussion spaltete sich sofort in hundert kleinere Debatten, da hier zu viele etwas sagen wollten, das sie bisher nicht vorgebracht hatten. Es war offenkundig, daß das noch stundenlang so weitergehen könnte und Tag für Tag.
Ann und Sax setzten sich wieder hin. Nadia entfernte sich kopfschüttelnd aus der Menge. Am Rande der Versammlung traf sie auf Art, der auch den Kopf gelassen schüttelte.
»Unglaublich«, sagte er.
»Glaub es nur!«
D ie Tage des Kongresses entwickelten sich ganz ähnlich wie die ersten, mit guten oder schlechten Workshops, danach dem Dinner und dann langen Abenden mit Gesprächen oder Parties. Nadia stellte fest, daß, während die alten Emigranten nach dem Essen wieder an die Arbeit zu gehen pflegten, die jungen Eingeborenen dazu neigten, die Konferenzen nur als Arbeit bei Tage anzusehen, während in den Nächten gefeiert wurde, meist bei dem großen warmen Teich in Phaistos. Das war wieder einmal eine Sache der Neigungen mit vielen Ausnahmen in beiden Richtungen. Aber Nadia fand es interessant.
Sie selbst verbrachte ihre Abende meistens auf den Speiseterrassen von Zakros, machte sich Notizen über die Meetings des Tages, sprach mit den Leuten und dachte über die Dinge nach. Nirgal arbeitete oft mit ihr zusammen und Art auch, wenn er nicht mit Menschen zusammenkam, die tagsüber diskutiert hatten, um zusammen Kava zu trinken und dann in Phaistos eine Party zu besuchen.
In der zweiten Woche nahm sie die Gewohnheit an, einen Abendspaziergang das Rohr hinauf zu unternehmen, oft bis hin zu Falasarna. Danach ging sie zurück und pflegte mit Nirgal und Art zusammenzukommen für ihre letzte Manöverkritik des Tages, wofür sie sich auf einem Patio trafen, der sich auf einem kleinen Lavabuckel in Lato befand. Die beiden Männer waren auf ihrer langen Heimreise von Kasei Vallis Freunde geworden und wurden unter dem Druck des Kongresses wie Brüder. Sie sprachen über alles, verglichen ihre Eindrücke, testeten Theorien, entwickelten Pläne zur Beurteilung durch Nadia und beschlossen, eine Art von Dokument über den Kongreß abzufassen. Nadia war ein Teil davon - vielleicht als ältere Schwester oder einfach die großmütterliche Babuschka. Einmal, als sie Schluß gemacht hatten und ins Bett wankten, sprach Art vom >Triumvirat<. Ohne Zweifel mit ihr als Pompejus. Aber sie tat ihr Bestes, um sie mit ihren Analysen des größeren Bildes zu beeinflussen.
Es gab mannigfache Meinungsverschiedenheiten unter den dortigen Gruppen, wie sie ihnen sagte; aber einige waren fundamental. Es gab solche für und solche gegen revolutionäre Gewalt. Es gab solche, die in den Untergrund gegangen waren, um an bedrohten Kulturen festzuhalten, und solche, die verschwunden waren, um radikal neue soziale Ordnungen zu schaffen. Und es schien Nadia auch immer sicherer, daß es auch wesentliche Differenzen zwischen jenen gab, die von der Erde eingewandert waren, und denen, die auf dem Mars geboren waren.
Es gab also Meinungsverschiedenheiten jeder Art, bei denen keine klare Anpassung zu erkennen war. Eines Abends kam Michel Duval zu ihnen auf einen Drink; und als Nadia ihm das Problem schilderte, nahm er seine KI und fing an, Diagramme aufzustellen aufgrund von etwas, das er das semantische Rechteck< nannte. Mit diesem Schema machten sie hundert verschiedene Skizzen der unterschiedlichen Dichotomien im Versuch, eine Darstellung zu finden, die ihnen helfen würde zu verstehen, welche Annäherungen und Oppositionen es darunter geben könnte. Sie erhielten einige interessante Schemata, aber man konnte nicht sagen, daß blendende Erkenntnisse vom Bildschirm auf sie zusprangen, obwohl ein besonders unordentliches semantisches Viereck mindestens Michel suggestiv vorkam: Gewalt und Nichtgewalt, Terraformung und Nichtterraformung bildeten die ursprünglichen vier Ecken; und in der zweiten Kombination um dieses erste Rechteck hatte er Bogdanovisten, Rote, Hirokos Areophanie und die
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