Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
Vielleicht war das in der Vergangenheit gewesen. Nun, es hatte gewisse Vorteile, eine alte Babuschka zu sein. Sie konnte ihn schamlos bemuttern, und er grinste nur; und sie konnten nichts tun. Gewiß hatte er etwas Charismatisches an sich: schmale Kiefer, beweglicher fröhlicher Mund, weit auseinanderstehende braune und leicht asiatische Augen, starke Augenbrauen, ungewöhnlich schwarzes Haar, ein langer graziöser Körper, obwohl er nicht so groß war wie die meisten von ihnen. Nichts Außergewöhnliches. Es war hauptsächlich sein Verhalten, freundlich, wißbegierig und zu Frohsinn geneigt.
»Was ist mit Politik?« fragte sie ihn spät an diesem Abend, als sie zusammen vom Dorf zum Fluß gingen. »Was sagst du dazu?«
»Ich benutze das Dokument von Dorsa Brevia. Meines Erachtens sollten wir es sofort in Kraft setzen, in unserem alltäglichen Leben. Die meisten Leute in diesem Tal haben das offizielle Netz verlassen, siehst du, und leben in der alternativen Ökonomie.«
»Das habe ich gemerkt. Das ist mir hier besonders aufgefallen.«
»Na schön, und du siehst, was passiert. Den Sansei und Yonsei gefällt es. Sie halten es für ein bei ihnen gewachsenes System.«
»Die Frage ist, was die UNTA davon hält.«
»Was kann sie da machen? Ich glaube nicht, daß sie sich darum kümmert, soweit ich sehe.« Er war ständig auf Reisen und war das schon seit Jahren und hatte viel vom Mars gesehen, viel mehr als Maya, wie ihr klar wurde. »Wir sind schwer zu sehen und scheinen sie nicht herauszufordern. Also machen sie sich um uns keine Gedanken. Sie wissen nicht einmal, wie weit verbreitet wir sind.«
Maya schüttelte zweifelnd den Kopf. Sie standen am Ufer des Flusses, der an dieser Stelle gurgelnd über Untiefen strömte. Seine nächtlich purpurne Oberfläche reflektierte kaum das Licht der Sterne. Nirgal sagte: »Er ist so schlammig.«
»Es ist eine Art politischer Partei, Nirgal, oder eine soziale Bewegung. Du mußt ihr einen Namen geben.«
»Oh! Nun, manche sagen, wir wären Boone-Anhänger oder eine Flügelgruppe von MarsErsten. Ich selbst gebe ihm keinen Namen. Vielleicht Ka. Oder Freier Mars. Wir sagen das als eine Art Gruß. Verbum, Nomen - was immer. Freier Mars.«
»Hmm«, sagte Maya und fühlte den kühlen feuchten Wind auf der Wange und Nirgals Arm um ihre Taille. Eine alternative Ökonomie, die ohne die Regel des Gesetzes funktionierte, war verlockend, aber gefährlich. Sie konnte sich in eine von Gangstern beherrschte schwarze Ökonomie verwandeln; und kein idealistisches Dorf würde viel dagegen ausrichten können. Darum war sie ihres Erachtens als Lösung für die Übergangsbehörde irgendwie illusorisch.
Als sie aber Nirgal gegenüber diese Vorbehalte äußerte, stimmte er zu. »Ich halte es nicht für den endgültigen Schritt. Aber ich denke, es hilft. Es ist das, was wir jetzt tun können. Und dann, wenn die Zeit kommt... «
Maya nickte in der Dunkelheit. Sie gingen zusammen ins Dorf zurück, wo die Party noch im Gange war. Jedenfalls brachten die fünf jungen Frauen es zuwege, daß sie die letzten an Nirgals Seite waren, als die Party endete; und mit einem nur leicht verkrampften Lachen (wenn sie jung wäre, hätten sie keine Chance gehabt) überließ sie ihn ihnen und ging zu Bett.
Nachdem sie zwei Tage lang von dem Marktdorf stromabwärts gefahren waren, immer noch vierzig Kilometer von Hell's Gate entfernt, kamen sie an eine Windung des Canyons und konnten seine ganze Länge übersehen, bis zu den Türmen der Hängebrücke der Bahn. Wie etwas aus einer anderen Welt, dachte Maya, mit einer völlig anderen Technik. Die Türme waren sechshundert Meter hoch und standen zehn Kilometer voneinander entfernt - eine wahrhaft immense Brücke, die die Stadt von Hell's Gate zwergenhaft erscheinen ließ, die erst nach einer weiteren Stunde über dem Horizont auftauchte und dann von dessen Rand an in Sicht kam. Ihre Gebäude ergossen sich in den steilen Canyon wie eine dramatische Küstenstadt in Spanien oder Portugal, aber ganz im Schatten der riesigen Brücke. Riesig, ja; aber in Chryse gab es Brücken, die doppelt so groß waren. Und bei den ständigen Verbesserungen im Material war kein Ende abzusehen. Das Karbon-Nanotubenfilament des neuen Aufzugs hatte eine Zugfestigkeit, die selbst die Erfordernisse des Aufzugs in den Schatten stellte. Und damit würde man an der Oberfläche jede Brücke bauen können, die man sich überhaupt nur vorstellen konnte. Man sprach davon, Marineris zu
Weitere Kostenlose Bücher