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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Einmal zerbrach sie sogar eine Scheibe, daß ihm das Glas über den Rücken rieselte. Da riß er die Tür auf und drängte sich, immer noch auf französisch fluchend, an ihr vorbei und durch die Zimmertür ins Freie.
    Aber gewöhnlich wartete er bloß, bis sie zusammenbrach und anfing zu weinen. Dann kam er zurück und redete englisch, was die Rückkehr seiner Gelassenheit anzeigte. Und mit nur leicht enttäuschter Miene nahm er die unerträgliche Therapie wieder auf. Er sagte dann etwa: »Schau, wir standen damals alle unter einem großen Druck, ob wir es merkten oder nicht. Es war eine höchst künstliche Situation und auch gefährlich. Wenn wir in irgendeiner Anzahl verschiedener Wege versagt hätten, hätten wir alle sterben können. Wir mußten Erfolg haben. Einige von uns kamen mit Druck besser zurecht als andere. Ich war da nicht so gut und du auch nicht. Aber jetzt sind wir hier. Und die Drücke gibt es immer noch, manche anders, manche dieselben. Aber wir kommen besser mit ihnen zurecht, wenn du mich fragst. Die meiste Zeit.«
    Und dann ging er weg zu einem Cafe an der Corniche und hockte eine oder zwei Stunden über einem Cassis und entwarf Gesichter auf seinem Lektionar, bissige Karikaturen, die er löschte, sobald sie fertig waren. Sie wußte das; denn an manchen Abenden ging sie nach draußen und fand ihn. Sie saß schweigend bei ihrem Glas Wodka neben ihm und entschuldigte sich durch die Haltung ihrer Schultern. Wie konnte sie ihm sagen, daß es ihr half, ab und zu zu streiten, daß es sie wieder auf den nach oben führenden Ast der Kurve brachte - wie konnte sie ihm das sagen, ohne dieses zynische Lächeln bei ihm auszulösen, das Melancholie und Bedrückung verriet? Außerdem wußte er Bescheid. Er wußte und verzieh. Er sagte dann: »Du hast sie beide geliebt, aber auf verschiedene Weise. Und es gab bei ihnen auch Dinge, die dir nicht gefielen. Außerdem, was immer du gemacht hast, du konntest nicht die Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Sie haben erwählt, was sie taten, und du warst nur ein Faktor.«
    Es half ihr, das zu hören. Und es half ihr zu kämpfen. Es würde alles in Ordnung sein. Sie würde sich besser fühlen, wenigstens ein paar Wochen oder ein paar Tage lang. Die Vergangenheit war ohnehin so mit Löchern gespickt, eine struppige Sammlung von Bildern. Schließlich würde sie wirklich vergessen. Obwohl die am festesten haftenden Erinnerungen durch einen Leim aus Schmerz und Gewissensbissen gebunden zu sein schienen. Darum dürfte es einige Zeit dauern, sie zu vergessen, auch wenn sie so nagend, schmerzlich und nutzlos waren. Nutzlos! Besser sich auf die Gegenwart zu konzentrieren.
    Während sie eines Nachmittags, allein in ihrem Apartment, diese Überlegungen anstellte, starrte sie lange auf des Bild des jungen Frank an der Spüle. Sie überlegte, es herunterzunehmen und wegzuwerfen. Ein Mörder. Sich auf die Gegenwart konzentrieren. Aber auch sie war eine Mörderin. Und auch der, welcher ihn zum Mord getrieben hatte. Wenn man immer alles auf alles zurückführte. Auf jeden Fall war er dabei irgendwie ihr Gefährte gewesen. Als sie lange darüber nachgedacht hatte, entschied sie sich, das Foto hängen zu lassen.
    Aber im Lauf der Monate und des langen Rhythmus der Tage mit dem Zeitrutsch und der sechs Monate währenden Jahreszeiten wurde das Bild nicht mehr als ein Teil der Ausstattung, wie das Gestell mit Zangen und hölzernen Schaufeln oder die aufgehängte Reihe von Töpfen und Pfannen mit kupfernen Böden oder die kleinen Salz-und-Pfeffer-Behälter in Schiffsform. Das war alles ein Teil der Bühne, die für diesen Akt des Spiels eingerichtet war, wie sie manchmal dachte. So dauerhaft das auch schien, es würde völlig verschwinden, wie alle vorgegangenen Einrichtungen verschwunden waren, während sie zur nächsten Inkarnation fortschritt. Oder auch nicht.
    So vergingen die Wochen und dann die Monate, vierundzwanzig im Jahr. Der Monatserste fiel hintereinander so viele Monate lang auf einen Montag; daß das für immer festgelegt zu sein schien. Und dann war ein Drittel eines Marsjahres vergangen, und endlich erschien eine neue Jahreszeit; es verging ein Monat von siebenundzwanzig Tagen, und plötzlich fiel der Erste auf einen Sonntag, und nach einer Weile würde das auch als ewige Norm erscheinen, einen Monat nach dem anderen. Und so ging es immer und immer weiter. Die langen Jahre des Mars drehten sich langsam im Kreise.
    Draußen rings um Hellas schien man die meisten

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