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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Einzelbild...
    Dann stand Ann vor ihm, und die Erinnerungen waren verschwunden, vergessen wie ein Traum.
     
    Er hatte sie seit ihrer gerontologischen Behandlung in Tempe nicht mehr gesehen und fühlte sich sehr unbehaglich. Vielleicht war das eine Furchtreakion. Natürlich war es unwahrscheinlich, daß sie ihn physisch angreifen würde, obwohl sie das schon einmal getan hatte. Aber es waren nicht solche Angriffe, die ihm Sorgen machten. Damals in Antarctica - er tastete nach der flüchtigen Erinnerung und verlor sie wieder. Erinnerungen am Rande des Bewußtseins gingen bestimmt verloren, wenn man sich entschlossen bemühte, sie wieder zu erlangen. Warum, das war ein Geheimnis. Er wußte nicht, was er sagen sollte.
    Sie fragte durch ihre Gesichtsmaske: »Bist du jetzt gegen Kohlendioxid immun?«
    Er sprach von der neuen Hämoglobinbehandlung und kämpfte um jedes Wort, wie er es nach dem Schlag getan hatte. Mitten in seiner Erklärung lachte sie laut heraus. »Krokodilblut, was?«
    »Ja«, sagte er, da er ihren Gedanken erriet. »Krokodilblut und Rattengehirn.«
    »Hundert Ratten.«
    »Ja. Besondere Ratten«, sagte er und bemühte sich um Korrektheit. Mythen haben schließlich ihre eigene starre Logik, wie Levi-Strauss gezeigt hatte. Er wollte sagen, es wären geniale Ratten gewesen, hundert Stück, und jede einzelne ein Genie. Selbst seine miserablen graduierten Studenten mußten das zugeben.
    »Veränderte Geister«, sagte sie und folgte seinem Gedankengang.
    »Ja.«
    »Also nach deinem Gehirnschaden zweimal verändert«, bemerkte sie.
    »Das ist richtig.« Es war deprimierend, es sich so vorzustellen. Diese Ratten waren fern ihrer Heimat. »Plastische Verstärkung. Hast du...?«
    »Nein. Habe ich nicht.«
    Es war also immer noch dieselbe alte Ann. Er hatte gehofft, sie würde die Drogen bei ihrer Wiedererkennung benutzen. Das Licht sehen. Aber nein. Obwohl die Frau vor ihm nicht wie dieselbe Ann aussah, nicht genau. Der Ausdruck in ihren Augen. Er hatte sich an ihren Blick gewöhnt, der ein sicheres Zeichen von Haß zu sein schien. Seit ihrem Streit auf der Hades und schon davor. Er hatte genug Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Oder zumindest, es zu lernen.
    Jetzt, mit aufgesetzter Gesichtsmaske und einem anderen Zug um die Augen, wirkte es fast wie ein fremdes Gesicht. Sie beobachtete ihn scharf, aber die Haut um ihre Augen war nicht mehr so verkrampft. Runzlig wohl, sie und er hatten beide sehr viele Runzeln; aber diese Runzeln ließen auf ein entspanntes Gewebe schließen. Es schien möglich, daß die Maske sogar ein leichtes Lächeln verbarg. Es wußte nicht, was er davon halten sollte.
    »Ihr habt mir die gerontologische Behandlung gegeben«, sagte sie.
    »Ja.«
    Sollte er sagen, daß es ihm leid täte, wenn das nicht so wäre? Er starrte sie mit gelähmter Zunge und verkrampftem Kiefer an wie ein von einer Schlange gebannter Vogel und hoffte auf irgendein Zeichen, daß sie in Ordnung war, daß er das Richtige getan hatte.
    Sie zeigte plötzlich auf die Umgebung. »Was willst du jetzt machen?«
    Er bemühte sich, den Sinn ihrer Äußerung zu verstehen, die ihm so rätselhaft vorkam wie ein Koan. Er sagte: »Ich bin draußen, um zu schauen.« Ihm fiel nichts ein, was er sonst hätte sagen sollen. Sprache, all diese schönen köstlichen Worte, waren plötzlich davongeflattert wie eine Schar aufgescheuchter Vögel. Alle außer Reichweite. Der Sinn verschwunden.
    Nur noch zwei Tiere, die da in der Sonne standen. Schau, schau, schau!
    Sie lächelte nicht mehr, falls sie es zuvor überhaupt getan hatte. Sie schleuderte ihm auch keine Dolche in ihren Blicken entgegen. Eine eher abschätzende Miene, ganz so als wäre er ein Stein. Bei Ann bedeutete das Fortschritt.
    Aber dann machte sie kehrt und ging fort, die Klippe hinunter zu dem kleinen Hafen von Zed.

S ax kehrte etwas verblüfft zum Da-Vinci-Krater zurück. Dort hielten sie ihre alljährliche Partie Russisches Roulette ab, in der sie auf ein Jahr die Repräsentanten für die globale Legislatur und auch die verschiedenen Koop-Posten auswählten. Nach dem Ritual der aus einem Hut gezogenen Namen dankte man den Leuten, die im vorigen Jahr diesen Job getan hatten und tröstete die, auf welche dieses Jahr das Los gefallen war. Und die meisten von ihnen feierten wieder einmal, daß sie davongekommen waren.
    Man hatte die Methode der Auslosung für administrative Jobs in Da Vinci gewählt, weil das der einzige Weg war, die Leute dazu zu bringen, sie zu

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