Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
übernehmen. Ironischerweise hatten sich die Techniker von Da Vinci nach allen ihren Bemühungen, jedem Bürger das Höchstmaß an Selbstmanagement zuteil werden zu lassen, als allergisch gegen die damit verbundene Arbeit erwiesen. Sie wollten nur ihre Forschung betreiben. »Wir sollten die Verwaltung ganz den Computern überlassen«, sagte Kouta Arai jedes Jahr zwischen den Schlucken aus einem Steinkrug mit schäumendem Bier. Aonia, die Dumarepräsentantin des vorigen Jahres, sagte zur diesjährigen Wahl: »Du gehst nach Mangala und sitzt herum und diskutierst; und der Stab tut die anfallende Arbeit. Das meiste davon ist an den Rat oder die Gerichtshöfe oder die Parteien abgegeben worden. Es sind die Apparatschiki des Freien Mars, die diesen Planeten wirklich betreiben. Aber es ist eine recht hübsche Stadt, in der Bucht kann man schön Bootfahren und im Winter Eissegeln.«
Sax ging weg. Jemand beklagte sich über die vielen neuen Hafenstädte, die am Südgolf entstanden, zu dicht, um noch behaglich zu sein. Politik in ihrer verbreitetsten Form: Klagen. Niemand will etwas tun, aber ein jeder genießt es, sich zu beklagen. Diese Art von Gerede würde etwa eine halbe Stunde lang weitergehen, um dann wieder auf die Arbeit zurückzukommen. Es gab eine Gruppe, die Sax schon am Ton ihrer Stimmen erkennen konnte. Er ging hinüber und bemerkte, daß sie über Fusion sprachen. Sax blieb stehen. Es schien, daß sie über neue Entwicklungen in ihren Labors bei der Konstruktion eines gepulsten Kernfusionsmotors erregt waren. Kontinuierliche Fusion war schon vor Jahrzehnten erzielt worden; aber dafür waren extrem massive Tokamaks erforderlich, Aggregate, die zu groß, zu schwer und zu kostspielig waren, um in den meisten Anwendungsbereichen benutzt werden zu können. Aber dieses Labor versuchte, viele kleine Treibstoffkügelchen in rascher Folge hinein implodieren zu lassen und die Resultate der Fusion als Energiequelle zu nutzen.
»Hat Bao zu euch darüber gesprochen?« fragte Sax.
»Nun ja, ehe sie abreiste, kam sie herüber, um mit uns über Plasmamuster zu reden. Das war nicht unmittelbar hilfreich. Dies hier ist wirklich makro im Vergleich mit dem, was sie macht; aber sie ist so verdammt schlau; und nachher sagte sie Yananda etwas, wie wir die Implosion versiegeln und trotzdem einen Platz für spätere Emission lassen können.«
Sie benutzten ihre Laser, um die Kügelchen von allen Seiten zugleich treffen zu können. Aber es mußte auch einen Auslaß für geladene Partikel geben. Bao hatte sich offenbar für das Problem interessiert; und jetzt kehrten sie wieder zu einer lebhaften Diskussion darüber zurück, was sie endlich erreicht zu haben glaubten. Und wenn jemand in den Kreis hereinschneite und die Lotterieergebnisse des Tages erwähnte, wiesen sie ihn an. »Ka, bitte keine Politik!«
Als Sax weiterging und halb den Gesprächen lauschte, die er im Vorbeigehen erhaschte, war er von neuem betroffen von dem unpolitischen Charakter der meisten Wissenschaftler und Techniker. Gegen Politik schienen sie allergisch zu sein. Das fühlte auch er. Das mußte er zugeben. Politik war unabweisbar subjektiv und kompromißlerisch, ein Prozeß, der völlig gegen den Kern der wissenschaftlichen Methode ging. Was war richtig? Diese Gefühle und Vorurteile waren an sich subjektiv. Man konnte versuchen, Politik als eine Art Wissenschaft zu sehen, etwa als eine lange Reihe von Experimenten über kommunales Leben, wobei alle Daten durchweg verunreinigt waren. So stellten Leute ein hypothetisches Regierungssystem auf, die Leute lebten es und prüften, wie sie sich damit fühlten. Dann änderten sie das System und starteten einen neuen Versuch. Im Laufe der Jahrhunderte schienen gewisse Konstanten oder Prinzipien aufgetaucht zu sein, während sie ihre Experimente und Paradigmen verfolgten und sukzessive nähere Approximationen von Systemen suchten, die Qualitäten wie physisches Wohlergehen, individuelle Freiheit, Gleichheit, Fürsorge für das Land, gelenkte Märkte, gesetzliche Regeln und allgemeines Mitgefühl förderten. Nach wiederholten Experimenten war klar geworden - zumindest auf dem Mars -, daß alle diese bisweilen widersprüchlichen Ziele am besten in einer Polyarchie realisiert werden konnten, einem komplexen System, in dem die Macht auf eine Anzahl von Institutionen verteilt war. Theoretisch schuf dieses System der geteilten Macht, teils zentralisiert und teils dezentralisiert, ein Höchstmaß an individueller Freiheit und
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