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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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gegen die Steine, während sie nach Südwesten wanderten, um einen Blick auf die Seite der Stadt zu werfen. Sie wünschte, sie könnte über diese schwarze Welt fliegen. Vermutlich würde irgendein Raketenrucksack das ermöglichen; aber soweit sie wußte, hatte sich hier niemand bemüßigt gesehen, einen zu bauen. Also trotteten sie statt dessen dahin und hielten nach Osten Ausschau. Bald würde die Sonne über diesem Horizont aufgehen. Jetzt wurde über ihnen in der ultradünnen Atmosphäre aus Neon und Argon feiner, durch Elektronenbeschuß aufgewirbelter Staub in dem Bombardement durch die Sonne zu einem schwachen weißen Nebel. Hinter ihnen war das Oberteil der Dämmerungswand ein blendendes reines Weiß, das man selbst durch die schweren Differentialfilter ihrer Helmmasken nicht anschauen konnte.
    Dann verwandelte sich der flache Horizont vor ihnen in Nähe des Kraters Strawinski in ein Silbernitratbild seiner selbst. Zo starrte hingerissen auf die explosive und phosphoreszierende tanzende Linie. Die Sonnenkorona, wie ein Brand in einem silbernen Wald knapp über dem Horizont. Zos Geist wurde gleichermaßen entflammt. Wenn sie könnte, wäre sie wie Ikarus in die Sonne geflogen in einer Art von spirituellem sexuellem Hunger; und in der Tat stieß sie genau die gleichen orgiastischen Schreie aus. Solch ein Feuer, solch eine Schönheit! In der Stadt nannte man das den Sonnenrausch - ein guter Name. Auch Miguel empfand das so. Er sprang von einem Felsen nach Osten mit weit ausgebreiteten Armen, wie Ikarus, der zu starten versucht.
    Dann kam er unbeholfen im Staub herunter; und Zo konnte seinen Schrei auch mit fast heruntergedrehter Lautstärke ihres Interkoms hören. Sie lief zu i hm und sah den unmöglichen Winkel seines linken Knies, stieß selbst einen Schrei aus und kniete sich neben ihn. Selbst durch den Anzug fühlte sich der Boden kalt an. Sie half ihm auf, indem sie sich seinen Arm über die Schulter legte. Dann drehte sie die Lautstärke ihres Interkoms hoch, obwohl er laut stöhnte. Sie sagte: »Halt den Mund! Nimm dich zusammen und paß auf!«
    Sie fielen in einen Rhythmus und hüpften nach Westen hinter der zurückweichenden Dämmerungswand her, die am oberen Ende ihrer hohen Glockenkurve hell leuchtete. Sie wich vor ihnen zurück. Es gab keine Zeit zu verlieren. Aber sie stürzten immer wieder. Beim dritten Mal schrie Miguel, im Staub hingestreckt, während die Landschaft eine blendende Mischung von reinem Weiß und reinem Schwarz war, vor Schmerzen auf und stöhnte: »Geh weiter, Zo, geh und rette dich selbst! Es gibt keinen Grund, weshalb wir beide hier draußen sterben!«
    »Halt's Maul!« sagte Zo grob und raffte sich auf.
    »Geh!«
    »Das werde ich nicht! Sei jetzt still, und laß mich dich tragen!«
    Er wog ungefähr ebenso viel, wie er auf dem Mars gewogen hätte. Siebzig Kilo mit dem Anzug, schätzte sie. Es war mehr eine Sache des Gleichgewichts als sonst etwas. Während er hysterisch plapperte: »Laß mich los, Zo! Wahrheit ist Schönheit und Schönheit ist Wahrheit. Das ist alles, was du weißt und wissen mußt«, beugte sie sich vor und legte ihre Arme unter seinen Rücken und seine Knie, was ihn wieder zum Schreien brachte. »Sei still!« schrie sie. »Genau das ist die Wahrheit und deshalb schön.« Und sie lachte, während sie, ihn auf den Armen, lostrabte.
    Er versperrte ihr die Sicht auf den Boden direkt vor ihnen. Darum mußte sie sich mit Schweiß in den Augen in dem blendenden Weiß und Schwarz nach vorn orientieren. Aber sie stapfte mit befriedigender Geschwindigkeit auf die Stadt zu.
    Dann fühlte sie Sonnenlicht im Rücken. Das war wie Nadelstiche, sogar durch ihren stark isolierten Anzug. Ein massiver Anstieg des Adrenalinspiegels. Vom Licht geblendet, stolperte sie durch eine Art von Tal, das tiefer hinein in die Dämmerung führte. Dann zurück in die scheckige Zone von Licht durchschossener Schatten, ein verrücktes Chiaroscuro. Danach langsam zurück in die eigentliche Schattenzone, wo alles düster war, außer der von oben herunterblitzenden feurigen Stadtmauer. Zo schnappte nach Luft und war jetzt eher von der Anstrengung erhitzt als vom Sonnenlicht. Und doch genügte der Anblick des leuchtenden Bogens am Gipfel des Stadt, um einen zum Mithras-Verehrer zu machen.
    Natürlich gab es, selbst wenn die Stadt direkt über ihnen war, keinen direkten Weg, wieder in sie hineinzugelangen. Sie mußte an ihr vorbeilaufen zur nächsten Untergrundstation. Minute um Minute völlig aufs

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