Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
Republiken, Feudalmonarchien... ohne Zweifel gab es da draußen im Hinterland orientalische Satrapien, Überbleibsel gescheiterter Karawanen... so daß jede Charakterisierung, die man in der Geschichte machen konnte, irgendwo Gültigkeit haben mochte. Die Sache, mit der sie jetzt beschäftigt war, die jungen Siedlungen, die nach Wasser verlangten, sich aus dem Netz zurückzogen und äußere UNTA-Kontrolle forderten, nein, das war es nicht... etwas anderes...
Aber als sie an der Tür der Praxiswohnung stand, konnte sie sich nicht erinnern, was es war. Sie und Diana würden am nächsten Morgen einen Zug nach Süden nehmen um die südöstliche Biegung von Hellas herum, um Zea Dorsa zu besuchen und den Lavatunnel, den sie zu einem Aquädukt umfunktioniert hatten. Nein. Sie war hier, weil...
Es fiel ihr nicht wieder ein. Es lag ihr auf der Zunge... Deep Waters. Diana. Sie waren gerade damit fertig geworden, Dao Vallis abzufahren, wo auf dem Canyonboden Eingeborene und Immigranten im Tal durch Schaffung einer komplexen Biosphäre unter einer riesigen Kuppel ein landwirtschaftliches Leben begannen. Einige von ihnen sprachen Russisch. Ihr kamen die Tränen, als sie das hörte. Dort - die Stimme ihrer Mutter, scharf und sarkastisch, wenn sie in dem kleinen Küchenwinkel ihres Apartments Kleider bügelte und es durchdringend nach Kohl roch.
Nein. Das war es nicht. Blick nach Westen, wo die See in der trüben Luft schimmerte. Wasser hatte die Sand-Dünen von Ost-Hellas überflutet. Das war mindestens ein Jahrhundert her. Es hatte sein müssen. Sie war aus einem anderen Grund da... Dutzende von Schiffen, kleine Punkte in einem Briefmarkenhafen. Dahinter ein Brackwasser. Es wollte ihr nicht einfallen. Ein schreckliches Gefühl, daß ihr etwas auf der Zunge lag, machte sie benommen, verursachte ihr Übelkeit, als ob sie es durch Erbrechen los werden könnte. Sie hatte sich auf die Stufe gesetzt. Eine Zungenspitze - ihr ganzes Leben! Sie stöhnte laut. Ein Paar Kinder, die Kieselsteine nach den Möwen warfen, starrten sie an. Diana. Sie hatte durch Zufall Nirgal kennengelernt, sie hatten zusammen gespeist ... Aber Nirgal war es schlecht geworden. Auf der Erde!
Und dann kam mit einem physischen Ruck alles wieder, wie ein Schlag auf ihren Solarplexus, als ob eine Welle sie überrollte. Die Kanalreise, ja natürlich, das Tauchen in das überflutete Burroughs hinein, Jackie, die arme Zo, die verrückte Närrin. Natürlich, natürlich. Sie hatte es natürlich nicht vergessen. Es war jetzt ganz offenbar wieder da. Es war nicht wirklich verschwunden gewesen, nur ein momentaner Ausfall in ihrem Denken, während ihre Aufmerksamkeit woanders hingewandert war. In ein anderes Leben. Eine starke Erinnerung hatte ihre eigene Integrität, barg ihre eigenen Gefahren, genau wie es ein schwaches Gedächtnis tat. Es war nur ein Ergebnis des Denkens, daß die Vergangenheit interessanter war als die Gegenwart. Was in vieler Hinsicht stimmte. Aber dennoch...
Immerhin blieb sie lieber noch eine Weile sitzen. Die kleine Übelkeit hielt noch an. Und dann war da ein restlicher Druck im Kopf, als ob das scharfe Stoßen mit der Zunge etwas verletzt hätte. Ja, es war ein übler Moment gewesen. Schwer abzustreiten, wenn man immer noch das Pulsieren von den verzweifelten Stößen der Zunge fühlen konnte.
Sie wartete, bis das Ende der Dämmerung die Stadt in tiefdunkles Orange getaucht hatte und dann in eine leuchtende Farbe wie von Licht, das durch eine braune Flasche scheint. Wirklich Hell's Gate - das Höllentor. Sie erschauerte, stand auf und ging beklommen die Treppe in den Hafendistrikt hinunter, wo die Restaurants um die Kais helle, von Motten umschwärmte Kugeln von Kneipenlicht ausströmten. Darüber ragte die Brücke wie das Negativ der Milchstraße auf. Maya ging hinter den Docks zum Seeufer.
Dort war Jackie. Sie kam auf sie zu. In einiger Entfernung kamen Assistenten hinterher; aber vorn ging bloß Jackie, die sie erst nicht sah, dann aber bemerkte. Bei Mayas Anblick verzog sich bei ihr ein Mundwinkel, nichts weiter; aber es genügte, um Maya zu zeigen, daß Jackie - wieviel? - neunzig Jahre alt war? Hundert? Sie war schön, sie war stark, aber nicht mehr jung. Ereignisse würden sie treffen, wie es jedem geschah. Geschichte war eine Welle, die sich schneller durch die Zeit bewegte als ein individuelles Leben, so daß Menschen, die nur siebzig oder achtzig Jahre alt geworden waren, hinter der Welle der Zeit zurückgeblieben waren, als sie
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