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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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bis sie tausend Jahre lang lebten, sie konnten das Universum verstehen von der Planckschen Länge bis zur kosmischen Distanz, vom Urknall bis zur Endzeit. All das war möglich und technisch zu erreichen. Und was jene anging, die meinten, daß die Menschheit den Ansporn des Leidens brauchte, um groß zu werden; nun, sie konnten ausziehen und aufs neue die Tragödien finden, die es, dessen war sich Sax gewiß, immer geben würde - verlorene Liebe, Betrug durch Freunde, Tod, schlechte Resultate im Labor. Inzwischen konnte der Rest von ihnen das Werk fortführen und an der Schaffung einer anständigen Zivilisation arbeiten. Das würden sie tun können! Es war wirklich erstaunlich. Sie hatten den Moment in der Geschichte erreicht, an dem es möglich war. Wirklich sehr schwer zu glauben. Das machte Sax mißtrauisch. In der Physik bekam man sofort Zweifel, wenn eine Situation irgendwie außergewöhnlich oder einzigartig zu sein schien. Die Chancen waren dagegen. Es schien auf eine manipulierte Perspektive hinzudeuten. Man sollte annehmen, daß die Dinge mehr oder weniger konstant sind und man in normalen Zeiten leben würde nach dem sogenannten Prinzip des Mittelmaßes. Sax hatte dieses Prinzip nie für besonders attraktiv gehalten. Vielleicht besagte es nur, daß Gerechtigkeit immer zu erzielen gewesen war. Auf jeden Fall gab es das, ein außergewöhnliches Moment, direkt unter seinen vier Fenstern, gebräunt unter der leichten Berührung der natürlichen Sonne. Mars und seine Menschenwesen, frei und mächtig.
    Es war zu viel, um es zu fassen. Es entglitt seinem Geist. Dann fiel es ihm wieder ein und überraschte ihn durch eine Freude, die er ausdrücken wollte. »Ha! Ha!« Der Geschmack von Tomatensuppe und Brot; »Ha!« Das trübe Purpur des Dämmerungshimmels; »Ha!« Das Bild der Instrumentenkonsole, die schwach leuchtete und in den schwarzen Scheiben gespiegelt wurde. »Ha! Ha! Ha! O meine Güte!« Es war fast erschreckend. Schwindelerregend. Ka, würden die Yonsei sagen. Ka, vermutlich der Name des kleinen roten Volkes für den Mars - aus dem japanischen ka, welches Feuer bedeutet. Das gleiche Wort gab es auch in verschiedenen anderen Sprachen, einschließlich der protoeuropäischen. So etwa nannten es die Linguisten.
    Vorsichtig begab er sich in das große Bett hinten im Abteil, lauschte dem Summen der Heizung und des elektrischen Systems des Rovers; und er lag selbst summend unter der dicken Decke, die die Wärme seines Körpers so rasch aufnahm; und legte den Kopf auf das Kissen und schaute hinaus zu den Sternen.
     
    Am nächsten Morgen zog von Nordwesten ein Hochdrucksystem heran, und die Temperatur stieg auf 262 K. Er war bis zu fünf Kilometer über dem Niveau abgefahren, und der äußere Luftdruck betrug 230 Millibar. Nicht genug, um frei zu atmen. Darum legte er geheizte Oberflächenkleidung an, hängte sich einen kleinen Lufttank über die Schulter, legte dessen Maske über Nase und Mund und zog eine Schutzbrille über die Augen.
    Selbst so gerüstet veranlagte ihn die starke Kälte, als er aus der Schleusentür ging und auf den Sand traf, so zu schnaufen und zu zappeln, daß sogar sein Sehvermögen behindert wurde. Das Pfeifen des Windes war laut, obwohl seine Ohren in der Kapuze steckten. Aber die Heizung des Anzugs tat ihre Arbeit, und als der Rest von ihm warm war, gewöhnte sich auch das Gesicht langsam an die Kälte.
    Er zog die Schnur der Kapuze fest an und ging über das Land. Er trat von einem flachen Stein, die es hier überall gab, zum andern. Oft bückte er sich, um Risse zu untersuchen. Er fand Flechten und weit verstreute Proben anderen Lebens: Moose, kleine Büschel von Riedgras und gewöhnliches Gras. Es war sehr windig. Äußerst scharfe Böen trafen ihn vier- oder fünfmal in der Minute. Dazwischen lagen trügerisch ruhige Zwischenpausen. Die meiste Zeit war es ohne Zweifel ein windiger Platz, wobei die Atmosphäre in großen Massen südlich um den Komplex von Tharsis herumströmte. Hochdruckzellen luden einen großen Teil ihrer Feuchtigkeit beim Aufsteigen auf der Westseite ab. Tatsächlich war in diesem Moment der Horizont im Westen durch ein flaches Wolkenmeer verdunkelt, das mit dem entfernten Land verschwamm, das zwei oder drei Kilometer tiefer lag und vielleicht sechzig Kilometer weit weg war.
    Unter den Füßen gab es nur stellenweise Schnee, der einige beschattete Spalten und Löcher füllte. Diese Schneebänke waren so hart, daß er darauf herumspringen konnte, ohne eine Spur zu

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