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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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alles unter ihnen ausfüllte; und die erdrückende Schwerkraft der vorigen anderthalb Monate erfaßte sie langsam wieder und drückte, drückte, drückte.
    Die geringe Toleranz, die Nirgal für das Gewicht entwickelt hatte, schien während der kurzen Rückkehr zu Mikrogravität verschwunden zu sein, und jetzt keuchte er. Jeder Atemzug war eine Anstrengung. Er stand fest vor den Fenstern, die Hände an das Geländer gepreßt, und schaute durch die Wolken auf das leuchtende Blau der Karibik und das intensive Grün von Venezuela. Die Orinokomündung in den Ozean war ein blattartiger Fleck. Der Rand des Himmels bestand aus gekrümmten, weiß und türkisfarbenen Bändern unter dem Schwarz des Himmels. Alles so glänzend. Die Wolken waren dieselben wie auf dem Mars, nur dicker, weißer und aufgeplusterter. Vielleicht übte die starke Schwerkraft einen Extradruck auf seine Netzhaut oder seinen Sehnerv aus, um die Farben so intensiv wirken zu lassen. Auch die Geräusche waren lauter.
    Mit ihnen im Aufzug waren UN-Diplomaten, Praxispersonal und Medienvertreter, die alle hofften, daß die Marsleute etwas Zeit für sie erübrigen und mit ihnen sprechen würden. Nirgal fand es schwer, sich auf sie zu konzentrieren und ihnen zuzuhören. Ein jeder schien sich seiner Position im Raum so seltsam wenig bewußt zu sein - dort fünfhundert Kilometer über der Erdoberfläche und in schnellem Fall begriffen.
    Ein langer letzter Tag. Dann waren sie in der Atmosphäre, und das Kabel führte ihren Waggon nahe zu einem verlassenen Flughafen, dessen Startbahnen wie graue Runen aussahen. Der Waggon glitt in die Betonmasse, bremste und hielt.
    Nirgal löste die Hände vom Geländer und ging vorsichtig hinter allen anderen her. Tap tap. Sein Gewicht durchdrang sich selbst. Schmerzhaft. Tap tap. Sie stapften eine Landebrücke hinunter. Er trat auf den Fußboden eines Gebäudes auf der Erde. Das Innere der Muffe ähnelte dem in Pavonis Mons - ein unpassender Gedanke, denn die Luft war salzig, dick, heiß, schrill und schwer. Nirgal eilte so schnell er konnte durch die Hallen. Er wollte ins Freie und endlich etwas sehen. Eine ganze Schar zog hinter ihm her und umgab ihn. Aber die Praxisleute begriffen und bahnten ihm einen Weg durch eine anwachsende Menge. Das Gebäude war sehr groß, und er hatte anscheinend die Chance verfehlt, eine U-Bahn nach draußen zu nehmen. Aber vor ihm war eine hell leuchtende Türöffnung. Von der Anstrengung etwas benommen, ging er in die blendende Helle hinaus. Alles rein weiß. Es roch nach Salz, Fischen, Blättern, Teer, Fäkalien und Gewürzen. Wie ein wildgewordenes Treibhaus.
    Dann paßten sich seine Augen an. Der Himmel war blau, ein Türkisblau wie das mittlere Band der Erdscheibe aus dem Weltraum gesehen, aber heller. Über den Bergen weißer, wie Magnesium um die Sonne herum. Schwarze Flecken schwammen hin und her. Das Kabel zog sich in den Himmel hinauf. Es war zu hell, um nach oben zu blicken. In der Ferne grüne Berge.
    Er stolperte, als sie ihn zu einem offenen Wagen führten. Ein älteres Modell, klein und rundlich, mit Gummireifen. Ein offenes Cabriolet. Er stand auf dem Rücksitz zwischen Sax und Maya, um besser sehen zu können. In dem grellen Licht waren Hunderte, Tausende von Menschen in erstaunlichen Kostümen - neonfarben, verschiedene Seiden, rosa, purpurn, gold, aquamarin; dazu kamen in betörender Fülle Juwelen, Federn, Kopfputz: >Karneval<. Jemand auf einem Vordersitz im Wagen sagte zu ihm: »Wir legen Kostüme an zum Karneval, auch beim Discovery Day, als Columbus auf dieser Insel angekommen ist. Das ist gerade eine Woche her, darum haben wir das Fest bis zu eurer Ankunft ausgedehnt.«
    »Welches Datum haben wir?« fragte Sax.
    »Nirgal-Tag. Elfter August.«
    Sie fuhren langsam durch Straßen, die von jubelndem Volk gesäumt waren. Eine Gruppe war so gekleidet wie die Eingeborenen vor Ankunft der Europäer und brüllten wild. Die Münder rot und weiß in braunen Gesichtern. Stimmen wie Musik. Alle sangen. Die Leute im Wagen hörten sich an wie Cojoten. In der Menge gab es Leute in Cojotenmasken. Das zerfurchte Gesicht von Desmond Hawkins auf Gummimasken mit Grimassen, die er unmöglich nachmachen könnte. Und Worte. Nirgal hatte geglaubt, daß ihm auf dem Mars jede mögliche Verzerrung der englischen Sprache begegnet wäre, aber er konnte kaum verstehen, was die Leute von Trinidad sagten: Akzent, Diktion, Intonation... Er kam nicht zurecht. Er schwitzte heftig, aber ihm war immer noch

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