Marschfeuer - Kriminalroman
dem
gerade ein Schwall Touristen einem Bus entströmte, was den Blick auf den
riesigen Kandelaber in der Mitte des Platzes verbarg.
Gerade als sie die Hand
hob, um ein zweites Mal zu klingeln, wurde die Tür geöffnet. Von einer kleinen,
rundlichen Frau in den Siebzigern, deren Blick unruhig an Lyns Gesicht hing.
»Ja, bitte?«
»Mein Name ist Harms.
Ich bin von der Kripo Itzehoe. Frau Jacobsen, nehme ich an?« Lyn lächelte die
Ältere an.
»Ja … ja, kommen Sie
herein. Bitte entschuldigen Sie, ich bin so durcheinander.« Sie schloss die Tür
hinter Lyn und deutete auf eine offen stehende Tür am anderen Ende des
großzügigen Flurs. »Bitte.«
Als Lyn das Wohnzimmer
betrat, erhob sich ein Mann aus dem cremefarbenen Chintz-Sofa und blickte sie
fragend an.
»Das ist die Dame von
der Polizei«, klärte Margarethe Jacobsen ihn auf.
»Harms«, stellte Lyn
sich vor und reichte ihm die Hand. Er war schlank, nur wenige Zentimeter größer
als sie und mochte um die fünfzig Jahre alt sein. Grau mischte sich in sein
dunkelbraunes Haar, das genauso gepflegt war wie sein kurz gehaltener Bart.
Sein Händedruck war
kräftig. »Lindmeir. Ich bin der Geschäftsführer der Jacobsen-Werft und Freund
des Hauses … Gibt es Neuigkeiten? Haben Sie irgendetwas herausgefunden?«
Als wäre er der
Hausherr, deutete er auf einen Sessel und wartete, bis Lyn sich gesetzt hatte.
Dann nahm er neben Margarethe Jacobsen auf dem Sofa Platz und griff nach deren
Hand. Er sah Lyn dabei an. »Sie können sich vielleicht vorstellen, dass Frau
Jacobsen völlig aufgelöst ist. Wir alle sind das.«
»Die Kollegen von der
Glückstädter Wache haben uns gestern am Spätnachmittag über den Sachverhalt
informiert«, gab Lyn weiter, was sie selbst von Thomas Martens erfahren hatte.
Sie entnahm ihrer Tasche die Mappe mit den Unterlagen, schob die Vase mit dem Seidenblumenstrauß
auf dem gekachelten Eiche-Couchtisch ein Stück zur Seite und überflog die
Notizen kurz, bevor sie Margarethe Jacobsen ansprach. »Sie vermissen Ihren Mann
seit gestern Morgen, Frau Jacobsen?«
Die alte Dame nickte mit
Tränen in den Augen.
»Und es ist noch nie
vorgekommen, dass er, ohne Sie zu informieren, das Haus für ein, zwei Tage
verlassen hat?«
»Aber nein …«,
Margarethe fuhr sich mit der rechten Hand zittrig durch das dauergewellte,
graue Haar, »mein Mann sagt mir immer, wohin er geht.«
»Hören Sie, Frau Harms«,
fuhr Paul Lindmeir mit gereizter Stimme dazwischen, »das haben wir gestern
bereits den uniformierten Beamten erzählt. Glauben Sie, wir rufen die Polizei,
wenn wir uns nicht sicher wären? Hinrich Jacobsen ist nicht der Mensch, der sang-und klanglos von der Bildfläche verschwindet, um irgendwann wieder
aufzutauchen.« Paul Lindmeir atmete einmal tief durch, seine Stimme wurde
ruhiger. »Hinrich Jacobsen ist die Zuverlässigkeit in Person … Es muss ihm
etwas passiert sein.«
»Verstehen Sie mich
bitte nicht falsch«, erwiderte Lyn ruhig, »das sind Routinefragen. Eine weitere
dieser Fragen kann ich Ihnen leider auch nicht ersparen.« Sie blickte
Margarethe an. »Ist Ihr Mann geistig völlig klar, Frau Jacobsen? Gibt oder gab
es Anzeichen von Demenz oder geistigen Schwächen, auch leichtester Art?«
Margarethe Jacobsen
setzte zu einer Antwort an, aber Paul Lindmeir nahm sie ihr ab. »Hinrich
Jacobsen ist der Besitzer der Jacobsen-Werft in Beidenfleth, deren
Geschäftsführer ich bin. Er ist geistig so fit wie ein Dreißigjähriger und
unterstützt mich nach wie vor in allen Belangen. Er ist gewieft und zieht uns
noch immer die besten Aufträge an Land.«
»Verstehe.« Lyn sah von
ihrem Block auf. »Hat es einen besonderen Grund, dass Sie alle hier in
Glückstadt wohnen, obwohl die Werft in Beidenfleth ist?«
»Dies ist das Haus
meiner Eltern«, sagte Margarethe Jacobsen, »wir wohnen seit dreißig Jahren
hier.«
»Und ich ziehe es vor,
nicht unter den Augen unserer Angestellten zu leben. Dorfleben kann
beängstigend eng sein.« Paul Lindmeirs Stimme klang zunehmend gereizter. »Ich
hoffe, Ihre Routinefragen sind damit ausreichend beantwortet und wir können zu
den erschreckenden Fakten zurückkehren. Hinrich Jacobsen ist verschwunden!«
»Bei sämtlichen
Krankenhäusern der Umgebung wurden gestern Abend Anfragen durch die Kollegen
getätigt«, sagte Lyn mit Blick auf ihre Unterlagen. »Leider erfolglos. Ihr Mann
wurde nicht eingeliefert.«
»Aber warum sollte er im
Krankenhaus sein?«, fragte Margarethe verwirrt. »Er wollte doch nur
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