Marschfeuer - Kriminalroman
Gartennachbarin ergeben hat.«
» …und ihr Frühstück ans
Bett bringen, wollte ich sagen«, grinste Thilo in die Frühbesprechungsrunde,
schlug dann aber seine Mappe auf und blickte auf seine Unterlagen. »Uschi
Bolten scheint die Letzte gewesen zu sein, die Hühner-Waldi lebend gesehen
hat«, klärte er seine Kollegen auf, »und zwar am Dienstag. Sie ist gegen siebzehn
Uhr dreißig in ihrer Kleingartenparzelle gewesen und hat ihre Hühner gefüttert.
Dabei ist es zu einem Streitgespräch zwischen ihr und Pankratz gekommen.«
»Worum ging’s?«,
schaltete sich Hendrik ein.
»Um das Unkraut, das zu
ihr rüberwuchs. Sie hat sich deswegen des Öfteren mit ihm angelegt. Jedenfalls
hat er übel zurückgepöbelt, behauptet sie. Und eine extreme Alkoholfahne soll
er gehabt haben.«
»Hmm«, sinnierte Lyn,
»irgendwann nach siebzehn Uhr dreißig am Dienstag verlässt er also die
Kleingartenanlage, wohin auch immer, bleibt am Mittwoch verschwunden, ebenso am
Donnerstag. Erst irgendwann nach zweiundzwanzig Uhr taucht er dort wieder auf.
Er legt sich schlafen …«
» …und dann haut ihm
jemand den Schädel ein und steckt die Hütte an«, komplettierte Thilo die
Fakten.
»Bleibt die große Frage:
warum?« Karin blickte in ratlose Gesichter. Sie griff nach der Kaffeekanne und
füllte ihren Becher auf.
»Hat diese Uschi Bolten
ein Alibi?«, fragte Jochen Berthold.
Als alle die Augen
verdrehten, verteidigte er sich: »Na, so weit hergeholt ist das nun auch nicht.
Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten passieren die dollsten Dinger. Und
Kleingärtner waren mir schon immer suspekt.«
»Es gibt Menschen, die
finden Camper suspekt«, stichelte Thilo im Hinblick auf Jochen Bertholds Hobby,
»ich gehöre übrigens auch dazu. Hast du eigentlich auch eine von diesen
karierten Shorts, zu denen die immer weiße Socken und Sandalen tragen?«
»Nicht zu vergessen die
Hawaii-Hemden und diese beigen Sommerhütchen«, gab Hendrik seinen Senf dazu.
Jochens Hals färbte sich
rosa. Das Sommerhütchen schien ein Treffer zu sein. Eine Antwort blieb er
schuldig, weil jemand an die Besprechungszimmertür klopfte.
Noch während Karin
»Herein« rief, öffnete sich die Tür. Lyn brauchte einen Moment, um den Mann
wiederzuerkennen, der sich lächelnd auf einen Stuhl am Tisch fallen ließ. Ohne
Mütze und Parka sah Thomas Martens fremd aus.
»Moin, Kollegen!«, sagte
er. »Ihr seid nach der Salmonellen-Attacke ja noch richtig gut besetzt, wenn
ich das hier so sehe. Und das stimmt mich froh. Wir brauchen Hilfe.«
»Guten Morgen, Herr
Martens«, begrüßte Karin Schäfer ihn. »Ich hab schon gehört, dass das SG 1 stark dezimiert ist. Aber Hilfe …« Sie deutete in die Runde. »Unser
aktueller Fall lässt kaum zu, dass wir noch jemanden abstellen.«
»Wäre nur für ein, zwei
Tage«, sagte er, und seine braunen Augen verharrten einen Moment bei Lyn, die
automatisch lächelte. Trotz seiner Glatze und der krankhaften Blässe strahlte
er eine ungeheure Vitalität aus. Nein, verbesserte sich Lyn, es waren seine
Augen, die diese Lebenskraft ausstrahlten.
»Wir wissen nicht mehr,
wo vorn und hinten ist«, sprach Thomas Martens weiter, »haben gerade noch einen
Selbstmord dazugekriegt. Seit gestern läuft eine Vermisstensache, da stehen
Befragungen an. Dann noch die Wasserleiche im Kanal …«
»Schon gut, schon gut«,
winkte Karin ab und blickte in die Runde. »Wer fühlt sich berufen, das SG 1 zu unterstützen?«
»Thilo und ich klappern
heute die Leute ab, bei denen Hühner-Waldi sich ein Zubrot verdient hat«, sagte
Hendrik, »damit sind wir ausgelastet. Sorry.«
Jochen Berthold begann,
in seinen Unterlagen nach imaginären Wichtigkeiten zu blättern.
»Tja, da müssen Sie wohl
mit mir Vorlieb nehmen«, sagte Lyn zu Thomas Martens.
»Ich könnte mir
Schlimmeres vorstellen«, antwortete er lächelnd und stand auf. »Dann wollen wir
mal. Hätten Sie gern den Apotheker, der sich an seinem Treppengeländer
aufgebummelt hat, die Kanalleiche oder–«
»Ich nehme oder«,
unterbrach Lyn ihn mit verzerrtem Gesicht. »Hatten Sie nicht so eine nette,
leichenfreie Vermisstensache erwähnt?«
VIER
»Hinrich Jacobsen« stand
auf dem messingfarbenen Türschild oberhalb des gleichfarbigen Klingelknopfes,
den Lyn drückte. Ein melodischer Gong ertönte hinter der dicken doppelflügligen
Holztür. Während Lyn wartete, dass die Tür sich öffnete, blickte sie die Straße
Am Kirchplatz hinunter. Sie mündete in den Glückstädter Marktplatz, auf
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