Marschfeuer - Kriminalroman
seiner Hosentasche, fummelte in aller Seelenruhe
ein Papierblättchen und die perfekte Menge Tabak heraus und begann, eine
Zigarette zu drehen. »War’s das jetzt?« Er leckte das Blättchen an und steckte
die fertige Kippe zwischen die Lippen. »Oder gibt’s noch was?«
»Seit unserem ersten
Gespräch haben sich die Umstände um den Toten in der Kleingartenkolonie
erheblich verändert.«
»Hat sich rumgesprochen,
dass der alte Jacobsen in der Hütte war … Krasse Sache.«
»Wie war denn Ihr
Verhältnis zu Onkel Hinrich?«
»Onkel! Pff.« Er stieß
verächtlich die Luft aus, steckte die Zigarette an und atmete den Rauch tief
ein. »War eben der Big Boss.«
»Mochten Sie Hinrich
Jacobsen?«
Er zuckte die Schultern.
»Hab nix mit ihm zu tun gehabt. War mir egal, der Alte.«
»Also, mir wär’s nicht
egal, wenn mein Chef mich vor versammelter Mannschaft zusammenscheißen würde«,
versuchte Hendrik, den Jungen aus der Reserve zu locken, »ganz im Gegenteil.
Das würde ich ihm ziemlich übel nehmen.«
Kevin blies Hendrik die
nächste Rauchfahne direkt ins Gesicht. »So was geht mir am Arsch vorbei.«
»Sind Sie mal im Haus
der Jacobsens gewesen? In Glückstadt?«, fragte Hendrik.
»Einmal. Mit meiner
Mutter, als sie die Lehrstelle für mich klargemacht hat.«
»Okay, ich denke, das
wär’s dann erst mal?« Hendrik blickte von seiner Uhr zu Lyn.
Die nickte widerwillig.
Dem Jungen war nicht beizukommen. Sie hatten absolut nichts gegen ihn in der
Hand.
Eine Stunde später saß
Lyn in ihrem roten Beetle und passierte erneut das Wewelsflether Ortsschild. Es
war schon nach achtzehn Uhr, und die knapp bemessene und darum so kostbare
Feierabendzeit lief viel zu schnell davon. Sie musste noch Charlottes Geschenke
einpacken und die vom Geburtstagskind gewünschte Philadelphiatorte backen. Das
Staubtuch würde sie auch noch schwingen müssen. Und den vertrockneten Ficus aus
dem Wohnzimmer schmeißen. Und das blöde Rollo in der Küche neu spannen, das
seit drei Tagen die Sicht nach draußen versperrte. Natürlich nicht wegen
Miriam. Hatte sie es etwa nötig, die toughe
Ich-krieg-Beruf-und-Familie-locker-unter-einen-Hut-Frau zu spielen? Nein. Nein,
nein, nein.
Wann hatte sie
eigentlich die Fenster zuletzt geputzt?
»Vielleicht sollte ich
das Rollo doch nicht spannen«, murmelte sie, als ihr klar wurde, dass es in der
Adventszeit gewesen war.
ACHT
Gut gelaunt summte Lyn
am nächsten Morgen den Song von Adele vor sich hin, den sie im Auto gehört
hatte. Als sie im Polizeihochhaus aus dem Fahrstuhl stieg, blickte sie auf ihre
Armbanduhr. Sie war spät dran und eilte in ihr Büro, um ihre Unterlagen zu
holen. Die Frühbesprechung fand bereits statt, aber sie hatte ihre Verspätung
angekündigt. Das fröhliche und entspannte Geburtstagsfrühstück mit Charlotte
hatte Vorrang gehabt.
Ihr »Moin« fiel leise
aus, als sie den Besprechungsraum betrat, denn Karin Schäfer stand vor dem
Flipchart und war mitten in einer Ausführung. Lyn schlüpfte auf ihren Stuhl neben
Hendrik und schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
»Wir brauchen unbedingt
eine Spur von Waldemar Pankratz«, sagte Karin. »Hat der Täter ihn in seiner
Hütte umgebracht? Wenn ja, wie hat er den Leichnam vom Tatort entfernt? Wo
hingeschafft? … Ich kann nicht begreifen, dass kein Mensch in Wewelsfleth etwas
gesehen oder gehört haben will. Erst verschwindet Pankratz spurlos, zwei Nächte
später schleppt der Täter den Leichnam Jacobsens zur Hütte, steckt sie an und
entkommt unerkannt. Was ist das nur für ein Kaff, in dem du da wohnst, Lyn?«
Die Hauptkommissarin sah Lyn kopfschüttelnd an.
»Ein netter kleiner Ort,
in dem die Menschen nachts schlafen und nicht auf der Straße herumflanieren«,
verteidigte Lyn ihre Wahlheimat. »Dass die Straßenlaternen um ein Uhr nachts ausgestellt
werden, hat allerdings wirklich etwas Vorsintflutliches und ist ein erhebliches
Manko. Der Täter hatte die Möglichkeit, völlig unerkannt durch die Dunkelheit
zu marschieren. Oder zu fahren. Je nachdem. Zwischen Schule, Kindergarten und
Kleingartengelände gibt es einen kleinen Parkplatz. Er kann quasi mit dem Wagen
fast bis an die Hütte gefahren sein.«
»Dann würde Kevin
Holzbach aber rausfallen. Er hat nur ein Moped«, sagte Lukas Salamand, »und
darauf wird er einen Leichnam kaum transportiert haben.«
Lyn hatte Zweifel an
dieser Schlussfolgerung. »Kevin Holzbach hat zwar kein Auto, aber– das habe ich
überprüft, Lurchi– einen Pkw-Führerschein. Und er hat
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