Marschfeuer - Kriminalroman
schüttelte den Kopf. »Sie haben noch mit ihm zusammen Mittag
gegessen. Dabei soll er sehr entspannt gewesen sein. Außerdem hat er nach dem
Essen mit seiner Frau telefoniert. Und sie sagt, er war sehr zufrieden mit sich
und den Gesprächen. Weitere Verabredungen hatte er an dem Tag nicht.«
»Dann hat er jemanden im
Zug getroffen. Jemand, der ihm etwas sehr Aufregendes berichtet hat.«
Thilo verdrehte die
Augen, aber Lyn nickte. Widerwillig, weil die Äußerung von Barbie gekommen war.
»Genau das haben wir
bisher vernachlässigt«, sagte Lyn. »Warum soll er nicht auf der Bahnfahrt jemanden
getroffen haben, der ihm brisante Informationen zugetragen hat? Darum sollten
wir jetzt telefonieren. Die Deutsche Bahn muss alle Reservierungen für das Abteil
herausgeben. Wir müssen wissen, wer vor, neben und hinter ihm gesessen hat. Das
sind die Leute, mit denen er ins Gespräch gekommen sein könnte.«
»Und was, wenn derjenige
nicht reserviert hat?« Hendrik sah sie zweifelnd an. »Es muss auch nicht im Zug
gewesen sein. Vielleicht war es jemand im Hotel.«
»Ich finde, das ist ein
sehr guter Ansatzpunkt«, lobte Karin die Ausführungen ihrer Kollegin Lyn, »und
auf jeden Fall einen Versuch wert. Lurchi kann die Hotelzimmerreservierungen
übernehmen, und du, Lyn, die Zugreservierungen.«
»Das mit den
Zugreservierungen würde ich gern morgen erledigen, Karin«, wandte Lyn ein. »Ich
muss noch die Anrufliste aus den Hotels von Jacobsen abchecken. Und beides
schaffe ich heute nicht mehr. Heute Nachmittag hab ich doch frei.«
»Frei?« Thilo riss die
Augen auf. »Ist dein Hamster gestorben, Kollegin Harms?«
»Nein«, lachte Lyn,
»aber meine Tochter hat Geburtstag, und die Chefin hat mir als
alleinerziehender Mutter erlaubt, freizumachen.«
»Jaaa, bleibt nur alle
zu Haus!« Thilo nickte huldvoll in die Runde. »Ich kann die beiden Mordfälle
auch allein lösen.«
***
Henning Harms stand in
der Wohnzimmertür seiner Tochter und beobachtete Lyn, die damit beschäftigt
war, die Katze, die sie in beiden Händen hielt, über das Sofa zu ziehen.
»Kannst du mir verraten,
was du da machst, Tochter?«
»Ich verteile
Katzenhaare.«
»Ah ja. Darf ich auch
fragen, warum? Sonst drehst du durch, wenn Barny hier auch nur ein Haar
verliert und jetzt …«
Die Katze begann zu
fauchen. Lyn strich ihr kurz über das Fell. »Ist ja gut, Miezi, gleich sind wir
fertig.« Sie ging zum Sessel und wiederholte die Prozedur.
»Miriam ist allergisch
gegen Katzenhaare«, sagte sie, ohne sich zu ihrem Vater umzudrehen.
»Das ist krank,
Gwendolyn. Das weißt du?«
»Sie hat meine Ehe
zerstört und den Kindern ihren Vater genommen. Sie sehen ihn nur noch in den
Ferien.«
»Hat nicht eher Bernd
eure Ehe zerstört? Und hast du nicht dafür gesorgt,
dass die Kinder ihren Vater nur noch in den Ferien zu Gesicht bekommen? Du
hättest auch in Bayern bleiben können.«
»Sie soll Rotz und
Wasser niesen!«
Henning Harms schüttelte
seinen grauhaarigen Kopf und ging zur offenen Haustür. »Stell die Torte auf den
Tisch, Lyn. Das Auto mit den Gästen scheint anzurollen. Ich höre die Mädchen am
Friedhofstor kreischen.«
»Aua!« Lyn schrie auf
und ließ die Katze fallen. Fauchend rannte die Katze über den Flur die Treppe
hinauf. »Sie hat mich gekratzt.« Lyn strich über die roten Striemen auf ihrer
Hand.
»Braves Kätzchen.«
Lächelnd blickte Henning Harms dem Tier hinterher.
»Hilf mir bitte
abdecken, Krümel«, rief Lyn ihrer jüngsten Tochter über die Schulter zu,
während sie die schmutzigen Kuchenteller in die Küche trug, »unser
Geburtstagskind darf heute sitzen bleiben.«
Sie öffnete den
Geschirrspüler und begann, die Teller einzusortieren. Eine Niesattacke Miriams
im Wohnzimmer– nicht die erste an diesem Nachmittag– pinselte ein Lächeln auf
ihre Lippen. Ein Lächeln von nur kurzer Dauer, denn ihr Blick fiel aus dem
Küchenfenster auf die fünfhundert Jahre alte Kirche gegenüber. Lyn seufzte. Es
war schlichtweg unmöglich, kleine erbärmliche Racheaktionen zu genießen, wenn
Gott direkter Nachbar war.
»Ich hab Krümelchen
angeboten, ihren Job zu machen«, erklang eine dunkle Stimme.
Lyn drehte sich zu ihrem
Exmann um. Bernd Hollwinkel stellte den Teller mit der restlichen Obsttorte und
die Sahneschüssel auf dem kleinen quadratischen Küchentisch ab. Sein Blick
haftete dabei an Lyn, glitt über ihren Körper.
»Du siehst gut aus, Lyn.
Du hast abgenommen, oder?« Er nahm die Sahneschüssel wieder in die Hand,
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