Marschfeuer - Kriminalroman
Brasilianer nickte.
»Ärger mit deutschen Behörden ist etwas, das mein Boss gar nicht schätzt. Wir
reden hier von einer halben Seemeile, die über Staatenrecht und gesetz entscheidet. Ich könnte wenden lassen.
Also, haben Sie mir irgendetwas zu sagen, Mr Lindmeir?«
Dies war also der Moment
der Entscheidung. Und das war gut so. Eine Entscheidung– so oder so– war das,
was ihm gefehlt hatte. Selbst wenn Kapitän Ferreira nicht in die deutschen
Hoheitsgewässer wendete, würde die Polizei ihn mit einem internationalen
Haftbefehl nach Brasilien verfolgen. Seine Atmung wurde flach. Die Entscheidung
war gefallen. Eine Entscheidung der Feigheit, aber die einzig mögliche.
Paul Lindmeirs Schultern
sackten nach unten. Er sah Ferreira an. »Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie
weiterfahren oder wenden, Kapitän. Ich … ich werde mich kurz in meine Kabine
zurückziehen, und dann … Sie werden dann informiert werden.« Er drehte sich um
und verließ die Brücke. Er musste sich zwingen, nicht zu rennen. Würde der
Kapitän beidrehen?
Während er die
Treppenstufen unter Deck nahm, beruhigte sich sein Herzschlag. Er wusste jetzt,
dass er die richtige Entscheidung traf.
Als er seine Kabinentür
öffnete, begannen seine Finger zu zittern. Die Motoren der Jacht sprangen
wieder an. Die Zeit lief davon. Würden sie wenden? Er eilte zum Sekretär.
»Verdammt!« Die
Schublade klemmte. Er zog und zerrte, aber erst als er sich zwang, rohe Gewalt
gegen Ruhe zu tauschen, ließ sie sich öffnen. Er nahm die beiden Briefe heraus,
die er in der vergangenen Nacht– wie es jetzt schien, in weiser Voraussicht–
noch geschrieben hatte. Unentschlossen wog er sie in seiner Hand. Hör auf zu denken, Paul, dies ist die richtige Entscheidung.
Sein Blick wanderte noch
einmal durch die Kabine, bevor er die Tür hinter sich schloss und den schmalen
Flur entlanglief. Vor Markus’ Tür blieb er stehen. Er lauschte. Nichts war zu
hören. Markus schien immer noch zu schlafen. Leise drückte er die Klinke herunter,
trat in das abgedunkelte Zimmer und zog die Tür wieder hinter sich zu. Er
machte kein Licht, sondern trat an das Bett seines Sohnes.
Ruhige Atemzüge
verrieten einen erholsamen Schlaf. Paul Lindmeir lächelte. Endlich schlief Markus
wieder einmal ruhig. Dann gefror sein Lächeln. Der nächste Schock stand dem
Jungen unmittelbar bevor. Wie würde er es verkraften? Paul Lindmeir schossen
die Tränen in die Augen. Würde Dora, würde seine Mutter ihn ersetzen können in
der kommenden, für den Jungen so schweren Phase?
Ja. Markus war jung.
Seine Jugend würde ihm helfen. Vielleicht auch die Kleine. Jana, ja, so hieß
sie wohl. Paul Lindmeirs zitternde Finger strichen über das Haar seines Sohnes.
»Ich liebe dich. Leb wohl.« Er flüsterte die Worte, dann drehte er sich abrupt
um, legte die Briefe auf das kleine Tischchen neben dem Bett und verließ das
Zimmer so lautlos, wie er gekommen war.
Auf dem Weg nach oben
begegnete ihm der Koch und grüßte mit einem fröhlichen »Good
morning, Mr Lindmeir«.
»Good
morning.« Eine Lüge.
Er erreichte das Heck
der Jacht, ohne dass ihm noch jemand begegnete. Die Sonne überzog das Wasser
mit einer flirrend silbernen Schicht. Paul Lindmeir hatte keinen Blick dafür.
Er stieg die Leiter zu der Badeplattform herunter und lauschte noch einen
Moment den Geräuschen des Schiffsmotors und der Wellen. Dann zog er seine
Schuhe aus und stellte sie zur Seite. Ordentlich. Er ging ein paar Schritte
vor, bis an den Rand der Plattform, und drehte sich um. Von hier aus konnte er
das gesamte Heck überblicken. Er musste den richtigen Moment abpassen. Niemand
war zu sehen.
ACHTZEHN
»Darf ich jetzt stören?« Sekretärin Birgit hatte ihren Kopf in das
Vernehmungsbüro gesteckt und blickte von Lyn zu Wilfried Knebel. Dora Lindmeir
hatte das Büro fünf Minuten zuvor verlassen. »Hier ist nämlich ein Anruf. Die
Wasserschutzpolizei.«
Der Hauptkommissar riss
ihr den Hörer aus der Hand. »Knebel.«
Lyn ahnte nichts Gutes,
als Wilfried in den Hörer fluchte. »Verdammte Scheiße! Das kann doch nicht wahr
sein. Und Sie sind sich ganz sicher …? … Ja, ich verstehe.« Er lauschte dem
Gesprächspartner am anderen Ende noch eine Weile, dann beendete er das
Telefonat.
Er sah Lyn an. »Die ›a
rainha‹ ist raus aus unserem Zugriffsbereich.«
»Nein!« Lyn sprang auf.
Die Enttäuschung raubte ihr für einen Moment den Atem. »Das … das kann doch
nicht sein. Nicht jetzt.«
Wilfried seufzte. »Es
scheint sich
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