Marschfeuer - Kriminalroman
ein Stück hinter ihr am Bug der »Helgoland« stand. Das
Küstenboot der Wasserschutzpolizei hatte seine Höchstgeschwindigkeit erreicht,
und sie genoss den Fahrtwind mit geschlossenen Augen, während sie die Deutsche
Bucht durchpflügten.
Hendrik trat direkt
hinter sie und schlang einen Arm um ihre Taille. »Wenn du jetzt die Arme
ausstreckst, schreie ich gegen den Wind: Ich bin der König der Welt!«
»Spinnst du?« Lyns Blick
glitt sofort zur Brücke des Küstenbootes, auf der die beiden
Wasserschutzkollegen ihren Dienst taten. Sie löste Hendriks Arm. »Wir sind
dienstlich hier.«
Hendriks Lächeln blieb.
»Du glaubst gar nicht, wie ich mich auf nächsten Sonntag freue, mein Herz. Wie
entspannt du sein wirst, wenn erst alle Bescheid wissen.«
Für einen kurzen Moment
spürte Lyn seine warmen Lippen auf ihrem Nacken, dann ging Hendrik die paar
Schritte zur Brücke. Lyn traute sich nicht, sich noch einmal umzudrehen. Wahrscheinlich
grinsten die Wasserschutzler jetzt blöde, weil sie Hendriks Kuss genau gesehen
hatten.
»Da ist die ›a rainha‹«,
schrie Hendrik in diesem Moment von hinten, »auf elf Uhr, Lyn.«
Lyn blieb so lange am
Bug stehen, bis sie die weiße Traumjacht erreicht hatten. Schwarzhaarige
Seeleute in tadellosen Uniformen blickten ihnen von oben entgegen, als sie an
der Badeplattform am Heck der Jacht an Bord gingen.
»Ferreira«, stellte sich
der Kapitän kurz angebunden vor. Sein Auftreten ließ klar erkennen, dass die Situation
ihn in höchsten Unmut versetzt hatte. »Ich habe einen Zeitplan einzuhalten. Und
jetzt passiert so etwas!« Er deutete in das graue Nordseewasser und forderte
sie auf, ihm zu folgen.
Lyn war froh, dass das
Englisch der beiden Kollegen vom Wasserschutz perfekt war. Sie selbst hatte
Probleme, dem starken Akzent des aufgeregten Kapitäns zu folgen.
Hendrik ging es nicht
besser. »Ich versteh nur die Hälfte von dem, was er da brabbelt«, flüsterte er
Lyn zu, während sie über die Badeplattform liefen.
»Herr Lindmeir ist
anscheinend hier über Bord gegangen«, dolmetschte der jüngere der beiden
Wasserschutzpolizisten und deutete auf das Schuhpaar. »Man weiß nicht genau,
wann und wo. Die ›a rainha‹ hat kehrtgemacht und alles abgesucht, nachdem Herr Lindmeir
von seinem Sohn als vermisst gemeldet wurde. Nichts.« Er sah seinen Kollegen
an. »Wir werden die ›Sylt‹ aus Husum zur Verstärkung anfordern und das Gebiet
absuchen. Und einen Hubschrauber.« Er bat den Kapitän um die Längen-und
Breitengradangaben für den in Frage kommenden Seebereich.
»Wo ist der Sohn von
Herrn Lindmeir?«, fragte Lyn, nachdem Kapitän Ferreira die entsprechenden
Angaben von seinem Offizier eingeholt hatte.
»Unter Deck. Der Junge
ist sehr aufgelöst. Unser Bordarzt ist bei ihm. Ich werde Sie hinbringen
lassen.« Er winkte einen Matrosen herbei. »Mr Lindmeir hat seinem Sohn einen
Brief hinterlassen. Und der Polizei ebenfalls.«
»Kapitän Ferreira«,
mühte Hendrik sich auf Englisch, »ich kann verstehen, dass die Situation für
Sie sehr unangenehm ist, aber ich muss Sie bitten, mit Ihrem Schiff den
nächsten Hafen anzusteuern. Wir müssen uns davon überzeugen, dass Paul Lindmeir
wirklich nicht mehr an Bord ist.«
Der Brasilianer starrte
Hendrik an, als habe der ihn gerade zu einem Mondscheinspaziergang eingeladen.
»Sie … Sie verkennen die Situation!« Seine Stimme schwoll bedrohlich an. »Wir
befinden uns außerhalb deutscher Jurisdiktion. Ich werde dieses Schiff nicht
eine Seemeile zurückfahren. Unser Zeitplan ist bereits exorbitant gestört. Dass
wir gestoppt haben, ist eine Goodwill-Aktion unsererseits.«
»Paul Lindmeir steht im
Verdacht, zwei Kapitalverbrechen begangen zu haben. Das sind Umstände–«
»Ihre Umstände
interessieren mich nicht«, unterbrach Ferreira Hendrik rüde, »genauso wenig,
wie Sie anscheinend meine Umstände interessieren.«
Jetzt mischte sich der
ältere der beiden Wasserschutzbeamten ein. »Ich verstehe, dass Sie keinen Hafen
anlaufen werden, Kapitän. Aber geben Sie uns eine Stunde, in der wir uns an
Bord umsehen können.« Er lächelte den Brasilianer an. »Eine nochmalige
Goodwill-Aktion unter Seeleuten.«
Ferreira starrte den
uniformierten Beamten einige Sekunden an, dann hob er seinen Arm und tippte auf
seine goldene Armbanduhr. »Ich gebe Ihnen genau eine Stunde. Jeweils einer
meiner Leute wird Sie begleiten. Und dann nehmen Sie den Jungen und gehen.«
»Danke.« Hendrik nickte
dem Kapitän und dem Wasserschutzkollegen
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