Marschfeuer - Kriminalroman
Klopfen an
der Tür ließ alle zusammenfahren.
»Was ist denn?«,
herrschte Wilfried seine Sekretärin an, als die ihren Kopf zur Tür
hereinstreckte. Birgits Stimme wurde spitz. »Der Staatsanwalt ist da. Er möchte
dich sofort sprechen.«
Grunzend stand Wilfried
Knebel auf. »Einen Moment bitte, Frau Lindmeir.«
Dora Lindmeir starrte
Lyn an, als die Tür sich hinter Wilfried schloss. »Wie haben Sie es herausgefunden?«, fragte sie.
»Wir hatten ein Gespräch
mit einer Dame, die ebenfalls in Leitersweiler lebte, als Sie dort noch
wohnten. Hinrich Jacobsen hat diese Frau durch Zufall getroffen.«
»Oh«, sagte Dora
Lindmeir nur. Dann schüttelte sie den Kopf und lachte herbe auf. » Ein dummer Zufall. Und alles ist kaputt.« Tränen traten in
ihre Augen. »Ich stelle mir vor, sie hätten sich nicht getroffen. Dann hätte
Paul einfach friedlich gelebt. Seinem Sohn beim Studium zugesehen, Pläne
gemacht, Schiffe gebaut.«
Lyn wollte ruhig
bleiben, aber es gelang nicht. »Richtig«, nickte sie, mühsam beherrscht.
»Waldemar Pankratz würde weiter sein friedliches Leben leben, seine Hühner
füttern, und Margarethe Jacobsen würde mit ihrem Mann gemeinsam alt werden.
Ihre Gedanken, Frau Lindmeir, kreisen nur um Ihren Sohn. Aber zwei Menschen
sind grausam getötet worden. Schieben Sie das nicht auf einen Zufall. Ihr Sohn
hätte einfach nur zu seiner Transsexualität stehen müssen. Dann hätte er
wahrscheinlich die Jacobsen-Werft verloren, aber nicht seine Menschlichkeit und
seine Ehre.«
Dora Lindmeirs Gesicht
verlor das letzte bisschen Farbe. Sie setzte zu einer Antwort an, aber Wilfried
Knebel betrat das Vernehmungsbüro.
»Der Brasilien-Urlaub
Ihres Sohnes fällt aus, Frau Lindmeir, und Sie sehen ihn eher wieder, als Ihnen
lieb sein dürfte«, sagte er und setzte sich wieder. »Die ›a rainha‹ wird in
diesem Moment gestoppt.«
Dora Lindmeir stand auf.
Ihr Gesicht war starr. »Ich wünschte, Sie hätten recht, Herr Kommissar. Ich
wünsche mir, dass Sie ihn nach Hause bringen. Aber ich kenne meinen Sohn.« Sie
sah aus dem Fenster in den Himmel. Jetzt endlich löste sich eine der
zurückgehaltenen Tränen. »Und darum glaube ich nicht daran.«
***
Paul Lindmeir zuckte
zusammen, als es an der Kabinentür klopfte. Er legte das Buch weg, in dem er
versucht hatte zu lesen. Vergeblich versucht.
»Ja, bitte?«, fragte er
auf Englisch, nachdem er die Tür geöffnet hatte. Der zweite Offizier der »a
rainha« stand auf dem Flur.
»Der Käpt’n möchte Sie
gern auf der Brücke sprechen, Mr Lindmeir. Bitte umgehend. Es ist wichtig.«
Der brasilianische
Offizier sprach undeutlich, und Paul Lindmeir hatte Mühe, seinem Englisch zu
folgen. Warum beorderte der Kapitän ihn jetzt auf die Brücke? Sie hatten sich
erst vor einer Stunde– nach einem Small Talk vor dem Frühstück– voneinander
verabschiedet. Sein Herz begann einen Takt schneller zu schlagen, während er
den Offizier auf die Brücke begleitete. Vor einer halben Stunde hatte die Jacht
wieder Fahrt aufgenommen. Alle Satellitensignale für das Positionssystem waren
da. Jetzt durfte einfach nichts mehr dazwischenkommen!
Als Paul Lindmeir das
Herzstück des Schiffes, die technologisch auf dem global höchsten Stand
befindliche Brücke, betrat, wandte Kapitän Ferreira sich ihm zu. Dessen
buschige Augenbrauen hatten sich zusammengezogen und bildeten eine Linie, als
er Paul Lindmeir auf Englisch ansprach.
»Mr Lindmeir, wir haben
gerade einen Funkspruch von der deutschen Wasserschutzpolizei bekommen. Man hat
uns aufgefordert, sofort die Maschinen zu stoppen. Können Sie mir irgendetwas
dazu sagen?«
Paul Lindmeir brach der
Schweiß aus allen Poren. Sein Herz begann zu rasen. »Sind wir noch in deutschen
Hoheitsgewässern?«
Kapitän Ferreira wandte
sich an seinen Offizier. »Stoppen Sie die Maschinen.« Dann drehte er sich
wieder zu Paul Lindmeir um. »Wir haben quasi während des Funkgespräches die
Anschlusszone überquert. Jetzt in diesem Moment befinden wir uns außerhalb der
Zugriffsberechtigung der deutschen Behörden.«
Paul Lindmeir atmete
tief durch. Die »a rainha« fuhr unter brasilianischer Flagge. Somit stand die
Jacht außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone und der darauf folgenden, ebenfalls noch
einmal zwölf Meilen langen Anschlusszone unter der Territorialmacht Brasiliens.
Und das bedeutete, dass der Kapitän die deutsche Polizei nicht an Bord lassen
musste.
»Aber Sie haben die
Maschinen stoppen lassen«, sagte Paul Lindmeir.
Der
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