Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Tagen darüber. Ich war nicht glücklich damit. Aber mir war nichts Besseres zu Serges Argumenten eingefallen. »Die psychiatrische Klinik hat Jahrzehnte lang als Altersheim für Bedürftige gedient. Einverstanden? Nun gut, und heute ist es der einzige Ort, der die ganzen zwanzigjährigen Penner aufnimmt. Alkoholiker, Drogenabhängige, Aidskranke ... Ich meine, es ist das einzige zuverlässige Asyl. Kannst du mir folgen?«
Ich konnte, ohne Frage. Und unsere Grenzen waren mir nur allzu klar. Wir beide zusammen konnten Arno nicht ersetzen. Wir konnten ihr nicht genug Liebe geben. Nicht immer für sie da sein. Es gab tausende von Pavies, und wir standen nur im Dienst des klei - neren Übels.
Ich hatte Amen zu den Worten des »Pfarrers« gesagt.
»Ich hab Lily wieder gesehen«, sagte Pavie mit vollem Mund »Sie erwartet ein Kind. Wird heiraten. Total glücklich, Lily.« Fü r einen Moment glomm das alte Funkeln in ihren Augen. Man hätte meinen können, sie sei die zukünftige Mutter. »Ihr Typ ist echt stark. Fährt einen GTI. Sieht gut aus. Hat einen Schnurrbart Erinnert mich an ... « Sie brach in Tränen aus.
»Schon gut, schon gut«, sagte Serge und legte einen Arm um ihre Schultern. »Wir sind ja da.«
»Ich bin einverstanden«, murmelte sie. »Sonst raste ich aus, das weiß ich. Und das würde Arno nicht wollen. Stimmts?«
»Nein, das würde er nicht wollen«, sagte ich.
Nur leere Worte. Immer und ewig.
Seitdem hieß es für sie rein in die Klinik, raus aus der Klinik. Sowie sie in desolatem Zustand im Balto auftauchte, rief Rico uns an, und wir kamen vorbei. So waren wir verblieben. Und Pavie hatte das in ihrem Hinterkopf gespeichert. Den Rettungsanker. Das war keine Lösung, das war mir bewusst. Aber wir hatten keine Lösung. Nur die. Wenn sie sich einen Schuss setzte, hieß es, ab in die Heil - anstalt. Immer wieder.
Das letzte Mal hatte ich Pavie vor etwas über einem Jahr gesehen. Sie jobbte in der Obst-und Gemüseabteilung im Géant Casino, in La Valentine, im Osten der Stadt. Es schien ihr besser zu gehen. Sie wirkte fit. Ich hatte sie für den darauf folgenden Abend zu einem Gläschen eingeladen. Sie hatte spontan akzeptiert, glücklich. Ich hatte drei Stunden auf sie gewartet. Sie war nicht gekommen. Wenn sie meine Visage nicht sehen will, hatte ich mir gesagt, kann ich damit leben. Aber ich war nicht zum Supermarkt zurückgekehrt, um mich zu vergewissern. Lole beanspruchte damals meine Tage, und meine Nächte.
Mit der Kerze in der Hand durchwühlte ich alle Winkel des Zim - mers. Ich spürte jemandem in meinem Rücken. Ich drehte mich um.
»Was hast du da zu suchen?« Im Türrahmen stand ein großer Schwarzer. Marke Rausschmeißer im Nachtclub. Knapp zwanzig. Ich hatte Lust, zu antworten, dass ich Licht gesehen hatte und hereingekommen war. Aber ich war mir nicht sicher, ob er Spaß verstand.
»Ich wollte zu Pavie.«
»Und wer bist du, Alter?«
»Ein Freund. Fabio.«
»Nie von dir gehört.«
»Auch ein Freund von Serge.«
Er entspannte sich. Vielleicht hatte ich eine Chance, auf beiden Beinen durch die Tür zu gehen.
»Der Bulle.«
»Ich hatte gehofft, sie hier zu finden«, sagte ich, ohne darauf ein - zugehen. Für viele würde ich bis ans Ende meines Lebens »der Bulle« bleiben.
»Wie war der Name noch mal, Alter?«
»Fabio. Fabio Montale.«
»Montale, richtig. Sie nennt dich nur so. Der Bulle oder Montale. Ich bin Randy. Der Nachbar. Direkt drüber.« Er reichte mir die Hand. Meine versank wie in einem Eimer. Fünf Finger in einem Schraubstock.
Es war schnell erklärt, dass ich mit Pavie reden musste. Wegen Serge. »Er hatte ein paar Probleme«, stellte ich klar, ohne mich mit Details aufzuhalten.
»Weiß nicht, wo sie ist, Alter. Sie ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen. Abends kommt sie zu uns rauf. Ich wohne da mit meinen Eltern, meinen beiden Brüdern und meiner Freundin. Wir haben die ganze Etage für uns. In dem Haus wohnt sonst niemand mehr. Pavie, und Madame Guttierez im Erdgeschoss. Aber die geht nicht mehr raus. Sie hat Angst vor der Räumung. Sie will dort ster - ben, sagt sie. Wir sind es, die für sie einkaufen. Pavie kommt hoch, um guten Abend zu sagen. Auch, wenn sie nicht zum Essen bleibt, nur dass sie da ist eben.«
»Passiert es oft, dass sie nicht nach Hause kommt?«
»Schon lange nicht mehr.«
»Wie geht es ihr?«
Randy sah mich an. Er schien mich abzuschätzen. »Sie gibt sich Mühe, verstehst du, Alter. Wir helfen, wo wir können, aber ... Sie
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