Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
dann, bis bald. Ciao.«
Sonia wohnte im Haus Nummer 28.
Ich drückte leicht auf den Klingelknopf. Die Tür ging auf. Mein Herz begann zu schlagen. »Erste Etage«, stand auf dem Briefkasten. Ich nahm vier Stufen auf einmal. Ich klopfte ein paarmal kurz an die Tür. Die Tür ging auf. Und schloss sich hinter mir.
Zwei Männer standen mir gegenüber. Der eine zeigte mir seine Karte.
»Polizei. Wer sind Sie?«
»Was haben Sie hier zu suchen?«
Mein Herz schlug höher. Aber aus anderen Gründen. Ich ahnte das Schlimmste. Wie könnte es auch anders sein, dachte ich, kaum sieht man einmal weg, und sei es nur für eine Sekunde, häufen sich die Schicksalsschläge im Leben. Schicht für Schicht. Wie eine Blätterteigtorte. Eine Schicht Sahne, eine Schicht brüchiger Teig. Zerbrochenes Leben. Verdammte Sauerei. Nein, ich ahnte das Schlimmste nicht. Es wurde zur Gewissheit. Mein Herz stand still. Der Todesgeruch war wieder da. Nicht der in meinem Kopf, den ich an mir selbst zu riechen meinte. Nein, echter Todesgeruch. Und sein häufiger Begleiter: Blutgeruch.
»Ich hab Sie was gefragt.«
»Montale. Fabio Montale. Ich war mit Sonia verabredet«, log ich halb.
»Ich geh runter, Alain«, sagte der andere Flic.
Er war blass.
»Okay, Bernard. Sie müssen jeden Augenblick kommen.«
»Was geht hier vor?«, fragte ich, um sicherzugehen.
»Sie sind ihr ...« Er musterte mich von Kopf bis Fuß. Schätzte mein Alter. Dann Sonias. Gut zwanzig Jahre Unterschied, musste er schließen. »... ihr Freund?«
»Ja. Ein Freund.«
»Montale, sagten Sie?«
Er dachte einen Moment nach. Taxierte mich aufs Neue.
»Ja, Fabio Montale.«
»Sie ist tot. Ermordet.«
Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich fühlte, wie sich tief in meinem Bauch ein Klumpen formte. Schwer. Und wie er sich in meinem Körper auf und ab bewegte. Bis zur Kehle. Er schnürte sie zu. Nahm mir die Luft. Ich erstickte. Stumm. Sprachlos. Als wären alle Worte in die Vorgeschichte zurückgekehrt. In die Tiefe der Höhlen. Dorthin, wo der Mensch für immer hätte bleiben sollen. Der Anfang war das Schlimmste. Der Urschrei des ersten Menschen. Verzweifelt unter dem gewaltigen Sternenzelt. Verzweifelt, weil er dort verstand, erschlagen von so viel Schönheit, dass er eines Tages, ja, eines Tages seinen Bruder erschlagen würde. Im Anfang lagen all die Gründe, zu töten. Noch bevor die Menschen sie beim Namen nennen konnten. Lust, Eifersucht. Begehren. Angst. Geld. Macht. Hass. Der Hass des anderen. Der Hass der Welt.
Hass.
Das Bedürfnis zu schreien. Zu Brüllen.
Sonia.
Hass. Der Klumpen stand still. Das Blut zog sich aus meinen Adern zurück. Sammelte sich in diesem jetzt so schweren Klumpen, der auf meinem Bauch lastete. Eisige Kälte durchfuhr mich. Hass. Mit dieser Kälte würde ich leben müssen. Hass. Sonia.
»Sonia«, murmelte ich.
»Gehts?«, fragte der Flic.
»Nein.«
»Setzen Sie sich.«
Ich setzte mich. In einen fremden Sessel. In einer fremden Woh - nung. Bei einer fremden Frau. Die Frau war tot. Ermordet. Sonia.
»Wie?«, fragte ich.
Der Flic bot mir eine Zigarette an.
»Danke«, sagte ich und steckte sie an.
»Die Kehle durchgeschnitten. Unter der Dusche.«
»Ein Sadist?«
Er zuckte die Schultern. Das hieß »nein«. Oder »vielleicht nein«. Wenn sie vergewaltigt worden wäre, hätte er es gesagt. Erst verge - waltigt, dann ermordet. Er hatte nur »ermordet« gesagt.
»Ich war auch mal Flic. Vor langer Zeit.«
»Montale. Ja ... Ich überlege schon die ganze Zeit ... in den nördlichen Vierteln, stimmts?«
Er reichte mir die Hand.
»Ich bin Béraud. Alain Béraud. Sie hatten nicht nur Freunde ...«
»Ich weiß. Nur einen. Loubet.«
»Loubet. Ja ... Er ist versetzt worden. Vor sechs Monaten.«
»Ah.«
»Saint-Brieuc, Côtes-d'Armor. Nicht gerade eine Beförderung.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
»Er hat auch nicht viele Freunde.«
Eine Polizeisirene war zu hören. Gleich würde die Mannschaft ankommen. Spurensicherung. Fotos vom Tatort. Von der Leiche. Untersuchung. Zeugenaussagen. Routinebefragungen. Das Übliche. Ein Verbrechen mehr.
»Und Sie?«
»Ich habe für ihn gearbeitet. Sechs Monate. Das war nicht schlecht. Er war korrekt.«
Draußen heulte noch immer die Sirene. Offensichtlich fand der Polizeiwagen keinen Parkplatz. Die Rue Consolât war eng, und jeder parkte, wo er wollte, das heißt kreuz und quer.
Reden tat mir gut. Ich verdrängte die Bilder von Sonia mit durch - trennter Kehle, die in meinem Kopf
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