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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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mich an Sébastiens Ausfü hrungen über das Internet und fügte hinzu: »Und ... Kann man all das ins Internet geben?«
    »Eine Website einrichten meinst du?«
    »Ja, eine Website, die jeder aufrufen kann.«
    »Kein Problem.«
    »Kannst du das machen? Mir eine Website einrichten und sie nur freigeben, wenn ich dich darum bitte?«
    »Das mach ich dir gleich morgen.«
    Ich verließ sie um drei Uhr morgens. Nach einem letzten Schluck Bier. Auf der Straße zündete ich eine Zigarette an. Ich ging über die völlig verlassene Place Jean-Jaurès und fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit nicht sicher.

Elftes Kapitel
In dem es ums nackte Leben geht,
bis zum letzten Atemzug

    Ich schrak aus dem Schlaf hoch. Etwas klingelte in meinem Kopf. Aber es war nicht das Telefon. Es war auch kein Geräusch. Es war nur in meinem Kopf und nicht wirklich ein Klingeln. Ein Klicken. Hatte ich geträumt? Wovon? Fünf vor sechs, Scheiße! Ich reckte mich. Ich würde nicht wieder einschlafen, das wusste ich jetzt schon.
    Ich stand auf und trat auf die Terrasse mit einer Kippe in der Hand, die ich allerdings nicht anzündete. Das Meer, von einem dunklen, fast schwarzen Blau, geriet in Bewegung. Der Mistral kam auf. Ein schlechtes Zeichen. Mistral im Sommer war gleichbedeutend mit Waldbränden. Hunderte von Hektar Wald und Gestrüpp in der Garrigue gingen jährlich in Flammen auf. Die Feuerwehr musste schon in den Startlöchern sitzen.
    Saint-Jean-du-Gard, dachte ich. Das war es. Das Klicken. Der Poststempel auf Babettes Briefumschlag. Saint-Jean-du-Gard. In den Cevennen. Was hatte sie da zu suchen? Bei wem? Ich hatte mir eine Tasse Kaffee gekocht, in meiner kleinen italienischen Kaffeekanne. Eine Tasse nach der anderen. So mochte ich meinen Kaffee. Nicht aufgewärmt. Schließlich steckte ich die Zigarette an und zog vor - sichtig daran. Der erste Zug ging glatt durch. Ich hatte die nächsten gewonnen.
    Ich legte eine Platte des südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim auf. Echoes from Africa. Ein bestimmtes Stück. Zikr. Ich glaubte weder an den Teufel noch an den lieben Gott. Aber in dieser Musik, in dem Gesang –dem Duo mit Johnny Dyani, seinem Bassisten –, lag eine derartige Heiterkeit, dass man die Erde hätte preisen mögen. Ihre Schönheit. Ich hatte dieses Stück immer wieder stundenlang gehört. Im Morgengrauen. Oder bei Sonnenuntergang. Es erfüllte mich mit Menschlichkeit.
    Die Musik stieg an. Ich stand mit der Tasse in der Hand in der Ter - rassentür und sah zu, wie das Meer immer stärker in Aufruhr geriet. Von Abdullah Ibrahims Texten verstand ich kein Wort, aber dieses Remembrance of Allah übersetzte ich mir auf die einfachste Art. Es ist mein Leben, das ich hier, auf dieser Erde lebe. Ein Leben mit dem Geschmack heißer Steine, dem Seufzen des Meeres und den Zikaden, die bald zu zirpen anfangen würden. Ich würde dieses Leben bis zu meinem letzten Atemzug lieben. Inschallah.
    Eine Möwe flog vorbei, sehr tief, dicht über der Terrasse. In meinen Gedanken tauchte für einen Moment Hélène Pessayre auf. Eine hübsche Möwe. Ich hatte nicht das Recht, sie weiter zu belügen. Jetzt, wo ich Babettes Disketten in der Hand hatte. Jetzt, wo ich ahnte, wo Babette sich versteckte. Zwar musste ich das noch überprüfen, aber ich war mir fast sicher. Saint-Jean-du-Gard. Die Cevennen. Ich schlug den Ordner mit ihren Artikeln auf.
    Es war ihre allererste große Reportage. Die einzige, die ich noch nicht gelesen hatte. Zweifellos wegen der Fotos, die den Artikel illustrierten und die Babette selbst aufgenommen hatte. Fotos voller Zärtlichkeit für diesen ehemaligen Philosophiestudenten, der nach dem Mai 68 Ziegenzüchter geworden war. Sie hatte diesen Bruno geliebt, da war ich mir sicher. Wie mich. Vielleicht hatte sie uns beide gleichzeitig geliebt? Und noch andere?
    Na und? sagte ich mir und las den Artikel weiter. Das war vor zehn Jahren. Aber liebt Babette dich noch? Liebt sie dich wirklich noch? Dieser kurze Satz bohrte in mir. »Ich liebe dich immer noch.« War es möglich, mit jemandem, den man geliebt hatte, von vorn anzufangen? Mit dem man zusammengelebt hatte? Nein, das glaubte ich nicht. Ich hatte nie daran geglaubt bei den Frauen, die ich verlassen hatte oder die mich verlassen hatten. Bei Babette glaubte ich auch nicht daran. Ich konnte es mir nur mit Lole vorstellen, aber das war total verrückt. Ich weiß nicht mehr, welche Frau mir einmal gesagt hat, dass man die Geister der Liebe nicht stören soll.
    Le

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