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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Castellas. Das wars also. Dort steckte sie. Davon war ich überzeugt. So, wie Babette den Ort beschrieb, bot er ein ideales Versteck. Außer dass man sich nicht bis ans Ende seiner Tage verkriechen konnte. Es sei denn, man entschied sich wie dieser Bruno, sein Leben dort zu fristen. Aber ich konnte mir Babette nicht als Ziegenzüchterin vorstellen. Dafür hatte sie noch zu viel Wut im Bauch.
    Ich machte mir eine dritte Tasse Kaffee, dann rief ich die Auskunft an und erfragte die Nummer von Castellas. Beim fünften Klingeln hob jemand ab. Eine Kinderstimme. Ein Junge.
    »Wer ist da?«
    »Ich möchte deinen Papa sprechen.«
    »Mama!«, rief er.
    Schritte.
    »Hallo.«
    »Guten Tag. Ich hätte gern Bruno gesprochen.«
    »Wer ist denn da?«
    »Montale. Fabio Montale.« Mein Name würde ihr nichts sagen. »Einen Moment.«
    Wieder Schritte. Eine Tür ging auf. Und dann war Bruno am anderen Ende der Leitung.
    »Ja, ich höre.«
    Die Stimme gefiel mir. Bestimmt. Sicher. Eine Stimme aus den Bergen, geladen mit ihrer Rauheit.
    »Wir kennen uns nicht. Ich bin ein Freund von Babette. Ich würde gern mit ihr sprechen.«
    Schweigen. Er überlegte.
    »Mit wem?«
    »Hören Sie, lassen wir das Theater. Ich weiß, dass sie sich bei Ihnen versteckt hält. Sagen Sie ihr, Montale hat angerufen. Sie soll mich zurückrufen, schnell.«
    »Was ist los?«
    »Sagen Sie ihr, sie soll mich anrufen. Danke.«
    Babette rief eine halbe Stunde später an.
    Draußen blies der Mistral in starken Böen. Ich war hinausgegangen, um Honorines und meinen Sonnenschirm zusammenzufalten. Sie war noch nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich war sie zum Kaffee zu Fonfon gegangen, wo sie La Marseillaise las. Seit der Provençal und der Méridional zu einer einzigen Zeitung fusioniert waren, La Provence, kaufte Fonfon nur noch La Marseillaise. Er mochte keine Wischiwaschizeitungen. Er mochte es, wenn sie Partei ergriffen. Auch, wenn er ihre Meinung nicht teilte. Wie die kom - munistische Zeitung La Marseillaise. Oder der Méridional, der, bevor er zur gemäßigten Rechten übergegangen war, vor rund zwanzig Jahren mit der Verbreitung rechtsextremer und radikaler Ideen des Front National ein Vermögen gemacht hatte.
    Fonfon konnte nicht verstehen, dass der Leitartikel in La Provence den einen Tag aus der Feder eines links angehauchten Herausgebers stammte und den nächsten aus der Feder eines anderen Heraus - gebers, der mit der Rechten sympathisierte.
    »Das nennt sich Pluralismus!«, hatte er geschimpft.
    Dann hatte er mir den Leitartikel zu lesen gegeben, der an jenem Morgen die Frankreichreise des Papstes würdigte. Und die mora - lischen Tugenden des Christentums lobpries.
    »Ich habe nichts gegen den Herrn Papst, verstehst du. Auch nicht gegen den Schreiber. Soll jeder denken, was er will, das ist schließlich Freiheit. Aber ... «
    Er blätterte die Zeitungsseiten um.
    »Da, lies das.«
    Auf den Lokalseiten war ein kurzer Beitrag mit Fotos über einen Gastwirt an der Küste. Der Typ erklärte, dass sein Laden der Renner sei. Die Kellnerinnen, ausnahmslos jung und hübsch, waren prak - tisch nackt. Was er nicht sagte oder nur andeutete, war, dass man ihnen den Hintern tätscheln durfte. Der ideale Ort für Geschäfts - essen eben. Hübsche Hintern und Moneten haben sich schon immer gut verstanden.
    »Du kannst doch nicht auf der ersten Seite den Segen vom Papst empfangen und dich auf der vierten aufgeilen lassen, nein!«
    »Fonfon!«
    »Verdammt noch mal! Eine Zeitung ohne Moral ist keine Zeitung. Ich kaufe sie jedenfalls nicht mehr. Und damit basta.«
    Seitdem las er nur noch La Marseillaise. Und die löste ähnliche Zornesausbrüche aus. Manchmal nicht ganz fair. Oft zu Recht.
    Fonfon würde sich nie ändern. Und das mochte ich an ihm. Ich war schon zu vielen Leuten begegnet, die nur eine große Klappe und nichts dahinter hatten, wie man in Marseille sagt.
    Als das Telefon klingelte, schrak ich hoch. Für einen Moment fürchtete ich, nicht Babette, sondern die Typen von der Mafia könnten dran sein.
    »Fabio«, sagte sie nur.
    Ihre Stimme war voller Angst, Müdigkeit, Erschöpfung. An einem einzigen Wort, meinem Vornamen, merkte ich, dass sie nicht mehr ganz die Alte war. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass sie einiges durchgemacht hatte, bevor sie untergetaucht war. Eine ganze Menge.
    »Ja.«
    Schweigen. Ich wusste nicht, was sie in das Schweigen legte. In meins, in die Gesamtheit unserer gemeinsamen Liebesnächte. »Wenn man zurückblickt«, hatte die Frau,

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