Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Grandona und Gilbert Georgi war er einer der Organisatoren des Festes zu Ehren der Schutzheiligen der Fischer. Das Saint-Pierre-Fest. Letztes Jahr hatte Félix mich in seinem Boot mitgenommen, um der Zeremonie auf dem offenen Meer außerhalb des Hafenbeckens beizuwohnen. Nebelhörner und ein Blütenmeer zur Erinnerung derer, die auf See geblieben waren.
Honorine, Célestes Jugendfreundin, und Fonfon wechselten sich mit mir ab, um Félix Gesellschaft zu leisten. Wir luden ihn am Wochenende zum Essen ein. Ich holte ihn ab und brachte ihn zurück. Eines Sonntagmorgens kam Félix dann im Boot zu mir. Er brachte seinen Fang mit. Einen guten Fang. Goldbrassen, Meer - pfauen und sogar ein paar Meeräschen.
»Oh verflixt!«, scherzte er, als er die Treppen zu meiner Terrasse hochstieg. »Du hast ja noch nicht mal den Grill angeworfen!«
Dieser Moment war bewegender für mich als das Saint-Pierre-Fest. Ein Fest des Lebens über den Tod. Das hatten wir gebührend begossen, und Félix hatte zum x -ten Mal erzählt, wie sein Groß va ter, als er heiraten wollte, nach Rapallo aufgebrochen war, um seine Frau zu suchen. Bevor er fertig war, hatten Fonfon, Honorine und ich im Chor gerufen: »Aber bitte mit Schleier!«
Er hatte uns verblüfft angesehen.
»Ich rede dummes Zeug, hm.«
»Aber nein, Félix«, antwortete Honorine. »Das ist kein dummes Gerede. Erinnerungen kannst du hundertmal wiederholen. Sie sind das Schönste im Leben. Auf diese Weise teilen wir sie, und das macht sie noch schöner.«
Und einer nach dem anderen gruben sie ihre Erinnerungen aus. Der Nachmittag ging dabei drauf und auch einige Flaschen weißer Cassis. Ein Fontcreuse, den ich immer für besondere Gelegenheiten dahatte. Dann kam das Gespräch zwangsläufig auf Manu und Ugo. In Felix' Restaurant waren wir Stammgäste gewesen, seit wir fünfzehn waren. Bei Félix und Céleste bekamen wir Pizza mit Figatelli, diesen köstlichen korsischen Würsten, Spaghetti mit Muscheln und Lasagne in dicker Ziegenmilch. Dort hatten wir ein für alle Mal gelernt, was eine echte Bouillabaisse ist. Nicht einmal Honorine kam bei dem Gericht an ihre Freundin Céleste heran. Es war beim Verlassen von Félix' Lokal, dass Manu vor fünf Jahren erschossen wurde. Aber unsere Erinnerungen verstanden es, recht - zeitig vor diesem Moment Halt zu machen. Ugo und Manu lebten noch. Aber sie waren nicht bei uns, und sie fehlten uns, das war alles. Wie Lole .
Félix hatte Maruzzella angestimmt, das Lieblingslied meines Vaters. Wir fielen alle im Chor in den Refrain ein, und jeder konnte um die weinen, die er geliebt hatte und die nicht mehr da waren. Maruzzella, o Maruzzella ...
Félix betrachtete mich mit derselben tiefen Besorgnis, die Fonfon und Honorine empfinden mochten, wenn sie errieten, dass mir die Schwierigkeiten über den Kopf wuchsen. Ich fand Félix vor dem Fenster, den Blick aufs Meer gerichtet, seine Sammlung von Pieds-NickelésComics neben sich auf dem Tisch. Félix las nichts anderes, aber die las er immer wieder. Und je älter er wurde, desto mehr ähnelte er der Figur Ribouldingue, zumindest sein Bart.
Wir sprachen vom Feuer. Auch auf Vallon-des-Auffes regnete es feine Asche. Und Félix bestätigte, dass das Feuer auf Allauch übergegriffen hatte. Nach den Worten des Einsatzleiters der zentralen Feuerwehr, so hatte er gerade in den Nachrichten gehört, liefen wir auf eine Katastrophe zu.
Er brachte zwei Bier.
»Hast du ein Problem?«, fragte er.
»Ja«, antwortete ich. »Ein ernstes.«
Und ich erzählte ihm die ganze Geschichte.
Von der Mafia und von Ganoven konnte Félix ein Lied singen. Charles Sartène, einer seiner Onkel seitens seiner Frau, war einer der Waffenträger von Même Guérini gewesen. Dem unbestrittenen Boss im Marseiller Nachkriegsmilieu. Ich kam möglichst behutsam auf Sonia zu sprechen. Dann auf Mavros. Ihren Tod. Dann setzte ich ihm auseinander, dass Fonfons und Honorines Leben in höchster Gefahr waren. Mir schien, seine Falten gruben sich noch tiefer ein.
Schließlich erklärte ich, wie ich bis zu ihm vorgedrungen war, welche Vorsichtsmaßnahmen ich ergriffen hatte, um die Killer abzu - hängen. Er zuckte die Schultern. Sein Blick löste sich von mir und blieb wie zufällig auf dem kleinen Hafen von Vallon-des-Auffes haften. Dort war man weit vom hektischen Treiben der Welt entfernt. Ein Hafen des Friedens. Wie Les Goudes. Einer dieser Plätze, an denen Marseille sich in dem Blick offenbart, mit dem man der Stadt begegnet.
Verse von
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