Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Gerechtigkeit übergeben zu werden. Aber ... so weit sind wir noch nicht.«
Nein, so weit waren wir noch nicht. Ich stand auf. Ich hörte weiterhin Feuerwehrsirenen von überall her. Die Luft war beißend, ekelhaft. Ich schloss das Fenster. Ich hatte eine halbe Stunde auf Mavros' Bett geschlafen. Hélène Pessayre und ihre Mannschaft waren gegangen. Und ich war mit ihrem Einverständnis in Mavros' Appartement über dem Boxstudio gegangen. Ich musste dort warten. Bis eine andere Mannschaft kam, um das Auto meiner Verfolger auszumachen. Denn wir hatten keine Zweifel, dass sie gleich vor der Tür standen oder fast.
»Haben Sie die Mittel für eine solche Überwachung?«
»Ich hab zwei Leichen am Hals.«
»Haben Sie diese Hypothese mit der Mafia in Ihren Berichten erwähnt?«
»Natürlich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil man mir die Untersuchung zweifellos entzogen hätte.«
»Sie gehen ein Risiko ein.«
»Nein, ich weiß genau, was ich tue.«
Mavros' Appartement war perfekt aufgeräumt. Es war beinahe krankhaft. Alles war wie vor Pascales Fortgang. Als sie gegangen war, hatte sie nichts mitgenommen oder kaum etwas. Nur Krimskrams. Nippes, Gegenstände, die Mavros ihr geschenkt hatte. Etwas Geschirr. Ein paar CDs, einige Bücher. Den Fernseher. Den neuen Staubsauger, den sie gerade gekauft hatten.
Jean und Bella, gemeinsame Freunde der beiden, hatten Pascale gegen eine bescheidene Miete ihr kleines, vollständig möbliertes Haus aus dem Familienbesitz überlassen, das sie in der Rue Villa-Paradis, einer ruhigen Ecke Marseilles über der Rue Breteuil, bewohnt hatten. Ihr drittes Kind war gerade geboren worden, und das enge, zweistöckige Haus war zu klein für sie geworden.
Pascale hatte sich sofort in das Haus verliebt. Die Straße hatte einen dörflichen Charakter und würde diesen zweifellos noch lange Jahre behalten. Mavros, der nicht verstand, hatte sie erklärt: »Ich verlasse dich nicht wegen Benoît. Ich gehe meinetwegen. Ich muss mein Leben neu überdenken. Nicht unseres. Meins. Vielleicht wird es mir eines Tages endlich gelingen, in dir zu sehen, was dir gerecht wird, was ich vorher in dir gesehen habe.«
Mavros hatte die Wohnung zum Mausoleum seiner Erinnerungen gemacht. Selbst das total durchgelegene Bett, auf das ich mich vorhin hatte fallen lassen, schien seit Pascales Fortgang nicht mehr berührt worden zu sein. Jetzt verstand ich besser, warum er es so eilig gehabt hatte, eine Freundin zu finden. Um nicht dort schlafen zu müssen.
Am traurigsten war es auf dem Klo. Dort klebten unter Glas, eins neben dem anderen, die besten Fotos ihrer glücklichen Jahre. Ich stellte mir Mavros morgens, mittags und abends beim Pinkeln vor, während sein verlorenes Leben an ihm vorbeidefilierte. Wenigstens das hätte er abnehmen sollen, dachte ich.
Ich entfernte das Glas und legte es vorsichtig auf den Boden. Eins ihrer Fotos lag mir am Herzen. Lole hatte es während eines Som - mers bei Freunden in La Ciotat aufgenommen. Georges und Pascale schliefen auf einer Bank im Garten. Georges' Kopf ruhte an Pascales Schulter. Sie atmeten Frieden. Glück. Ich löste es vorsichtig und steckte es in meine Brieftasche.
Das Telefon klingelte. Es war Hélène Pessayre.
»Es geht los, Montale. Meine Männer haben Stellung bezogen. Sie haben sie aufgespürt. Sie parken vor dem Haus Nummer 148. Ein Fiat Punto, in Blau metallic. Sie sind zu zweit.«
»Gut«, sagte ich.
Ich war bedrückt.
»Halten wir uns an die Abmachung?«
»Ja.«
Ich hätte gesprächiger sein sollen, einige Worte hinzufugen. Aber ich hatte einen Weg gefunden, Babette ohne Risiko und weit weg von allen anderen zu treffen. Inklusive Hélène Pessayre.
»Montale?«
»Ja.«
»Alles klar?«
»Ja. Was ist da draußen los?«
»Ein Feuer. Gewaltig. Es ist von Septèmes ausgegangen, aber es dehnt sich aus, wie es scheint. Richtung Plan-de-Cuques soll ein neuer Herd sein, aber mehr weiß ich auch nicht. Das Schlimmste ist, dass die Löschflugzeuge wegen des Mistrals am Boden festsitzen.«
»Teufel auch«, sagte ich und holte tief Luft. »Hélène?«
»Was?«
»Bevor ich nach Hause gehe, wie vorgesehen, habe ich ... muss ich noch bei einem alten Freund vorbeischauen.«
»Bei wem?«
Ein leichter Zweifel schwang wieder in ihrer Stimme mit.
»Hélène, keine krummen Touren. Er heißt Félix. Er besaß ein Res - taurant in der Rue Caisserie. Ich hatte versprochen, ihn zu besuchen. Wir fischen oft zusammen. Er wohnt in Vallon-des-Auffes. Ich muss dort
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