Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Perez und manch andere. Aber keiner, zu dem ich sagen konnte: »Weißt du noch ...« Das war Freundschaft, diese Summe gemeinsamer Erinnerungen, die man zu einem guten, gegrillten Seewolf mit Fenchel auftischen konnte. Allein das »Weißt du noch« erlaubt die intimsten Geständnisse aus seinem Leben, diesen Regionen in einem selbst, in denen meistens das Chaos regiert.
Mavros hatte ich jahrelang mit meinen Zweifeln, Ängsten und Befürchtungen überschüttet. Er war mir regelmäßig mit seiner Gewissheit, Dickköpfigkeit und unerschütterlichen Hoffnung auf die Nerven gegangen. Und in der Stimmung nach der ersten oder zweiten Flasche Wein waren wir immer zu dem Schluss gekommen, dass man, von welchem Ende man das Leben auch aufrollte, sich unweigerlich an dem Punkt wieder fand, an dem Freuden und Leiden nichts als eine endlose Lotterie waren.
Beim Centre-Bourse angekommen, verfuhr ich wie vorgesehen. Ich fand ohne allzu große Probleme einen Parkplatz auf der zweiten Tiefebene. Dann nahm ich den Fahrstuhl ins Einkaufszentrum. Die kühle, klimatisierte Luft überraschte mich angenehm. Ich hätte nichts dagegen gehabt, den Rest des Nachmittags dort zu verbrin - gen. Es herrschte großer Andrang. Der Mistral hatte die Marseiller vom Strand vertrieben, und jeder schlug die Zeit auf seine Weise tot. Vor allem die Jungen. Sie konnten den Mädchen nachgucken, und das war billiger als jede Kinokarte. Ich hatte darauf gesetzt, dass einer der Handlanger der Mafia mir folgen würde. Ich hatte außer - dem gewettet, dass er nicht sonderlich begeistert sein würde, mich durch die Sommerschlussverkauf - Abteilungen schlendern zu sehen. Nachdem ich kurze Zeit zwischen Hemden und Hosen hindurc - hgebummelt war, nahm ich die Rolltreppe in den zweiten Stock. Von dort führte eine Metallbrücke über die Rue Bir-Hakeim und die Rue des Fabres. Eine andere Rolltreppe ging auf die Canebière. Die nahm ich so lässig wie möglich.
Der Taxistand war nur wenige Meter entfernt, und fünf Fahrer, die die Hoffnung auf einen Fahrgast schon fast aufgegeben hatten, standen vor ihren Wagen.
»Haben Sie das gesehen?«, rief einer der Fahrer mir zu und zeigte auf seine Windschutzscheibe.
Feiner, schwarzer Ruß hatte sich darauf niedergelassen. Da bemerkte ich, dass es Ascheflocken schneite. Das Feuer musste ge - waltige Ausmaße angenommen haben.
»Höllisches Feuer«, sagte ich.
»Höllischer Mistral, ja! Es brennt, und keiner kann was dagegen tun. Ich weiß nicht mehr, wie viele Feuerwehr-und Rettungsfahr - zeuge s ie losgeschickt haben. Tausendfü nfhundert, tausendacht - hundert ... Aber, Teufel, das kommt von überall. Das greift noch bis Allauch über.«
»Allauch!«
Das war eine andere Gemeinde an der Stadtgrenze von Marseille. Etwa tausend Einwohner. Das Feuer vernichtete den grünen Gürtel der Stadt und damit den Wald. Weitere Dörfer würden auf seinem Weg liegen. Simiane, Mimet ...
»Außerdem sind sie alle damit beschäftigt, die Leute und Wohnungen zu schützen.«
Immer das gleiche Lied. Die Bemühungen der Feuerwehr und die Wasserabwürfe der Löschflugzeuge – wenn sie starten konnten –konzentrierten sich in erster Linie auf den Schutz der Villen und Laubenkolonien. Man mochte sich fragen, warum es keine strikten Vorschriften gab, die beim Bau eingehalten werden mussten. Massive Fensterläden. Sprinkleranlagen. Wassertanks. Feuerschutz - zonen. Oft kamen die Löschfahrzeuge nicht mal zwischen den Häusern und der Feuerfront hindurch.
»Was sagen sie über den Mistral?«
»Dass er sich über Nacht legen soll. Nachlassen jedenfalls. Teufel auch, wenn sie doch Recht hätten.«
»Hmja«, sagte ich nachdenklich.
Ich hatte das Feuer im Kopf. Ja, natürlich. Aber nicht nur das Feuer.
»Man kann nie wissen, Fabio«, sagte Félix.
Félix war überrascht, mich zu sehen. Besonders schon am Nachmittag. Ich besuchte ihn alle vierzehn Tage. Meistens, wenn ich aus Fonfons Kneipe kam. Ich trank den Aperitif mit ihm. Wir klönten ein paar Stunden. Célestes Tod hatte ihn zutiefst erschüttert. In der ersten Zeit hätte man meinen können, Félix hatte sich aufgegeben. Er aß nicht mehr, weigerte sich rauszugehen. Er wollte nicht einmal mehr fischen gehen, und das war wirklich ein schlechtes Zeichen.
Félix war nur ein Sonntagsfischer. Aber er gehörte zur Gemeinschaft der Fischer aus Vallon-des-Auffes. Einer Gemeinschaft von Italienern aus der Gegend von Rapallo, Santa Margherita und Maria del Campo. Und zusammen mit Bernard
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