Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Und, weiter östlich, die Place Castelane, die Avenue Cantini, der Boulevard Baiile, die Avenue du Prado, der Boulevard Périer und die Rues Paradis und Bre teuil.
In der Gegend um die Place Castelane fiel ein Immigrant auf wie ein Haar in der Suppe. In gewissen Bars stank die Kundschaft —Schüler und Studenten, durchgestylt bis obenhin — dermaßen nach Kohle, dass sogar ich mir da deplatziert vorkam. Hier wurde selten an der Theke getrunken, und der Pastis wurde in großen Gläsern serviert, wie in Paris.
Die Araber hatten sich im Zentrum neu gruppiert, das man ihnen schließlich überlassen hatte. Mit Abscheu gegen den Cours Belsunce und die Rue d'Aix und all die engen, vom Schmutz zerfressenen Gassen zwischen der Belsunce, der Allée Meilhan und dem Bahnhof Saint-Charles. Die Heimat der Huren. Mit Elendsquartieren und verlausten Absteigen. Alle Einwanderer waren durch diese Straßen geschleust worden. Bis eine Sanierung sie an den Rand gedrängt hatte. Eine neue Sanierungswelle war im Anmarsch, und die Randgebiete lagen bereits an der Stadtgrenze. In Septème-les-Vallons. Bei Pennes-Mirabeau. Weiter und immer weiter. Raus aus Marseille.
Eins nach dem anderen hatten die Kinos und dann die Kneipen geschlossen. Die Canebière war nur noch eine eintönige Reihe von Klamotten-und Schuhgeschäften. Ein großer Trödelmarkt. Mit einem einzigen Kino, dem Capitole. Ein Gebäudekomplex mit sechs Sälen. Die Kunden: junge Araber. Muskelprotze am Eingang, Muskelprotze in den Sälen.
Ich trank meinen Pastis aus und bestellte einen neuen. Corot, ein alter Kumpel, wusste einen Pastis erst nach dem dritten zu schätzen. Den Ersten trinkst du gegen den Durst. Beim Zweiten kommst du langsam auf den Geschmack. Und der Dritte schließlich schmeckt! Voi dreißig Jahren waren wir abends nach dem Essen noch auf der Canebière spazieren gegangen. Wir waren nach Hause gegangen, hatten geduscht und gegessen. Dann hatten wir uns umgezogen und waren auf die Canebière gegangen. Bis zum Hafen. Wir gingen auf der linken Seite runter und auf der anderen wieder rauf. Am Alten Hafen folgte jeder seinen Gewohnheiten. Einige stießen bis zur Fischhalle und zum Bassin de Carénage vor. Andere gingen zum Rathaus oder zum Fort Saint-Jean. Wir aßen Pistazien-, Kokosnuss-oder Zitroneneis.
Mit Manu und Ugo war ich regelmäßig auf die Canebière gegangen. Wie alle jungen Leute gingen wir hin, um uns zu zeigen. Herausgeputzt wie die Prinzen. Espadrilles oder Tennisschuhe kamen nicht in Frage. Wir trugen unsere besten Schuhe, bevorzugt italienische, die wir auf halbem Weg an der Rue des Feuillants putzen ließen. Wir gingen die Canebière mindestens zweimal rauf und runter. Dort gingen wir auf Mädchenfang.
Die Mädchen gingen oft in Gruppen von vier oder fünf. Arm in Arm. Sie gingen langsam auf ihren Bleistiftabsätzen, aber ohne mit dem Hintern zu wackeln, wie in Toulon. Ihr Gang war einfach, mit der Marseille eigenen Gelassenheit. Sie redeten und lachten laut. Um auf sich aufmerksam zu machen. Auf ihre Schönheit. Und sie waren schön.
Wir folgten ihnen in etwa zehn Schritten Abstand und machten unsere Bemerkungen laut genug, damit sie sie verstanden. An einem Punkt drehte sich eine von ihnen um und rief: »He, hast du den da gesehen! Für wen hält der sich, der Geck? Für Raf Vallone!«
Sie brachen in Gelächter aus. Drehten sich um. Strahlten uns an. Wir hatten gewonnen. An der Place de Bourse war die Unterhaltung voll in Gang. Am Quai des Beiges blieb uns nichts anderes übrig, als in die Tasche zu greifen, um das Eis zu bezahlen. Jeder für sein Mädchen. So gehörte es sich. Wir erkannten uns am Blick und am Lächeln. Die kleine Romanze hielt bestenfalls bis Sonntagabend nach endlosen Slows im Halbdunkel der Salons Michel in der Rue Montgrand.
Araber gab es schon damals viele. Auch Schwarze. Oder Vietna - mesen. Oder Armenier, Griechen, Portugiesen. Aber das war kein Problem. Zu einem Problem wurden sie erst durch die Wirtschaftskrise. Je höher die Arbeitslosigkeit anstieg, desto mehr fielen die Einwanderer auf. Es war, als würde die Anzahl der Araber parallel zur Anzahl der Arbeitslosen steigen! In den fetten Siebzigerjahren waren die Tische reichlich gedeckt gewesen. Aber ihr letztes Stück Brot wollten die Franzosen allein essen. Davon gaben sie keinen Krümel ab. Das war es, was die Araber taten: Sie klauten uns auch noch den letzten Kanten Brot vom Teller.
Die Marseiller dachten nicht wirklich so, aber man hatte ihnen Angst
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