Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
allein durchzuboxen, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Auch zu schlagen, hart ums Überleben zu kämpfen. In diesem Teufelskreis wird er von nun an aufwachsen.«
Wenn das so weitergeht, dachte ich, brennen meine Sicherungen durch. Ich werde mich auf Brunel stürzen und ihm seinen Mit - gliedsausweis des Front National ins Maul stopfen! Aber die Uhr tickte, und mit seinem Gelaber gewann ich Zeit. Brunel machte weiter. Jetzt ging es um Zukunft. Arbeit, Familie, Vaterland.
»Sie heißt Jocelyne. Auch sie stammt aus einer Vorortssiedlung. La Bricarde. Aber sie hat eine richtige Familie. Ihr Vater ist Arbeiter in der Zementfabrik Lafarge. Ihre Mutter Stationshilfe im Krankenhaus Nord. Jocelyne war eine fleißige, brave Schülerin. Sie will Friseuse werden. Sie ist seine Freundin. Sie liebt ihn, und sie hilft ihm. Sie wird die Mutter sein, die er nicht gekannt hat. Die Frau seiner Träume. Sie werden zusammen eine Wohnung nehmen. Sie werden gemeinsam einen kleinen Zipfel vom Paradies aufbauen. Ja, Mon - sieur!«, sagte er, als er mich grinsen sah.
Ich hatte es mir nicht verkneifen können. Das ging zu weit. Mourrabed in Pantoffeln. Vor der Glotze. Mit drei Gören auf dem Schoß. Mourrabed als glücklicher Mindestlohnempfänger!
»Wissen Sie«, sagte Brunel und wandte sich an meinen Chef, »was dieser junge Mann, dieser angebliche Kriminelle, mir einmal erzählt hat? Siehst du, hat er gesagt, später, mit meiner Frau, werden wir in einem Haus wohnen mit einem vergoldeten › R ‹ auf einer Marmor - platte am Eingang. › R ‹ fü r Residenz, wie es sie in Saint-Tronc, Saint-Marcel und La Gavotte gibt. Das ist sein Traum.«
Aus den Vierteln im Norden in die Viertel im Osten. Ein fabelhafter sozialer Aufstieg!
»Ich werde Ihnen sagen, wovon Mourrabed träumt«, unterbrach ich ihn. Denn jetzt hatte ich die Schnauze voll. »Er träumt von Einbruch und Zaster. Von einem dicken Schlitten, schicken Klamot - ten und goldenen Ringen. Er träumt von dem, was Sie repräsen - tieren. Aber er hat keine großen Sprüche zu verkaufen wie Sie. Nur Stoff. Bezogen von Typen, die genauso daherkommen wie Sie.«
»Montale!«, brüllte der Chef.
»Was denn!«, schrie ich nun. »Ich weiß nicht, wo seine kleine Braut gestern Abend war. Aber ich kann Ihnen sagen, dass er eine Sechzehnjährige gevögelt hat, die von zu Hause abgehauen ist! Nachdem er einem Typ den Schädel eingeschlagen hatte, nur weil der etwas zu lange Haare hatte. Und um die Sache perfekt zu machen, sind sie zu dritt über ihn hergefallen. Manchmal ... der Homosexuelle, wie Sie ihn nennen, weiß sich zu wehren. Nichts gegen Mourrabed, aber ich hätte es ihm gegönnt, sich von einem Schwulen eine blutige Nase zu holen!«
Und ich trat meine Zigarette auf dem Boden aus.
Brunel blieb unerschütterlich. Ein diskretes Lächeln um den Mund. Er taxierte mich. Er sah schon, wie seine Kumpel mir ein Licht aufsetzten. Mir das Maul stopften. Mir den Schädel einschlu - gen. Er richtete seine makellose Krawatte und stand pikiert auf.
»Wenn das so ist, Monsieur ...« Mein Chef stand ebenfalls auf. Auch er war schockiert von meinen Worten. »...verlange ich die sofortige Freilassung meines Klienten.«
»Sie gestatten«, sagte ich und nahm den Telefonhörer im Büro ab. »Eine letzte Überprüfung.«
Es war sieben Minuten nach zwölf. Pérol nahm ab.
»Alles klar«, sagte er und berichtete kurz.
Ich wandte mich an Brunel .
»Ihr Klient wird angeklagt: wegen vorsätzlicher Körperverlet - zung . Verführung einer Minderjährigen. Drogenhandel und Waffen - besitz, von denen eine bei der Ermordung des jungen Mädchens Leila Laarbi benutzt wurde. Ein Fall von Kommissar Loubet. Ein Komplize wird in diesem Moment verhört. Raoul Farge. Ein Zuhäl - ter. Ich hoffe, er ist nicht auch Ihr Klient, Herr Rechtsanwalt.«
Es gelang mir, nicht zu lächeln.
Ich rief Marie-Lou an. Sie sonnte sich auf der Terrasse. Ich stellte mir ihren Körper vor. Ich habe mich schon immer gewundert, dass Schwarze sich braun brennen lassen. Für mich machte es keinen Unterschied. Für sie offenbar schon. Ich verkündete ihr die gute Nachricht. Farge war in meinem Büro und würde es so bald nicht verlassen. Sie konnte ein Taxi nehmen und ihre Koffer packen.
»Ich bin in anderthalb Stunden da«, sagte ich.
Heute Morgen hatten wir ihre Abreise beschlossen, nachdem wir lachend die zerbrochenen Tassen aufgesammelt und auf der Terrasse mit Honorine einen weiteren Kaffee getrunken hatten. Sie fuhr nur bei
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