Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
Blick, der mir heute Morgen nach der Liebe bei ihr aufgefallen war. Sie war abwe - send, schon ganz woanders.
    Sie drückte sich an mich. Ich vergrub mein Gesicht in ihren Haaren. Ich sog ein letztes Mal den Duft ein. Zimt. Ihr Busen brannte wie Feuer an meiner Brust. Sie streichelte mir den Rücken. Ich machte mich langsam los. Ich verschloss ihren Mund mit meinem Finger, bevor sie etwas sagen konnte. Auf Wiedersehen. Bis bald. Oder was auch immer. Ich mochte keinen Abschied. Und kein Wiedersehen. Ich mochte es einfach, wenn die Dinge so liefen, wie sie sollten.
    Ich küsste sie auf die Wangen. Zärtlich, ohne Eile. Dann ging ich die Rue Estelle hinunter, zur nächsten Verabredung. Baristi erwar - tete mich um fünf.

Zw ö lftes Kapitel
    In dem wir darauf sto ß en, wie unendlich
mies und mickrig doch die Welt ist

    Wir sprangen auf die Fähre, als sie gerade ablegte. Batisti stolperte mehr, als dass er sprang. Ich hatte ihn kräftig und gezielt vorwärts gestoßen. Er landete schwungvoll mitten in der Kabine. Einen Moment glaubte ich, er würde das Gleichgewicht verlieren und sich flachlegen, aber an einer Bank fing er sich. Er drehte sich um, sah mich an und setzte sich. Er nahm seine Mütze ab und wischte sich die Stirn.
    »Die Itaker«, sagte ich und ging bezahlen.
    Ich hatte sie entdeckt, als ich Batisti an der Anlegestelle an der Place aux Huiles traf. Sie folgten ihm in einigen Metern Abstand. Weiße Leinenhosen, geblümte Hemden, Sonnenbrillen und Umhängetasche. Wie Djamel gesagt hatte: Sie spielten Touristen. Ich erkannte sie sofort, neulich in der Bar de la Marine ha t ten sie hinter uns gesessen. Sie waren gleich nach Batisti gegangen. Batisti hatte sie am Hals. Wenn sie mir ins Panier-Viertel gefolgt waren, dann weil sie mich mit ihm gesehen hatten. So legte ich mir das zurecht. Es schien plausibel.
    Die Itaker waren nicht mir auf den Fersen. Auch sonst war da niemand. Ich hatte mich vergewissert, bevor ich zu meiner Verabredung mit Batisti gegangen war. Als ich Marie-Lou verlassen hatte, ging ich die Rue Estelle hinunter, dann bog ich in die Rue Saint-Ferréol. Die große Fußgängerstraße Marseilles. All die großen Geschäfte lagen hier beisammen. Nouvelles-Galeries, Marks & Spencer, La Redoute, Virgin. Sie hatten die schönen Kinos der Sechzigerjahre verdrängt: Rialto, Rex, Pathé Palace. Keine Kneipe war übrig geblie - ben. Um sieben Uhr abends wurde es hier genauso trist wie auf der Canebière.
    Ich war in den Fußg ä ngerstrom getaucht. Spießbürger, Beamte, kleine und höhere Angestellte, Einwanderer, Arbeitslose, Junge, Alte ... Ab fünf Uhr abends zog ganz Marseille durch diese Straße. Ellenbogen an Ellenbogen, ohne jede Aggression. Marseille, wie es leibt und lebt. Erst an den äußeren Enden der Straße wurden die Risse wieder sichtbar. Auf der einen Seite die Canebiè re, die die innere Nord-Süd-Grenze der Stadt bildete. Und auf der anderen Seite die Place Félix-Baret, nur zwei Schritte von der Präfektur entfernt, wo immer ein Streifenwagen stand. Als Vorposten zu den gutbürgerlichen Vierteln. Die Bars dahinter, darunter die Bar Pierre, sind seit Jahrzehnten Haupttreffpunkt der Jeunesse dorée.
    Unter den Augen der Bereitschaftspolizei überkam mich immer das Gefühl, in einer Stadt im Kriegszustand zu sein. Kaum waren die Grenzen überschritten, hagelte es feindliche Blicke und Angst oder Hass, je nachdem, ob einer Paul oder Ahmed hieß. Die falsche Visage zu haben, ist hier ein Delikt.
    Ich war ziellos durch die Straße gegangen, ohne in die Schaufenster zu sehen. Ich ordnete meine Gedanken. Die Ereignisse zwischen Manus und Ugos Tod spulten sich vor meinem geistigen Auge ab. Auch wenn ich sie nicht verstand, konnte ich sie einordnen. Fürs Erste reichte mir das. Die jungen Leute, die durch die Straßen schlenderten, kamen mir schöner vor als zu meiner Zeit. An ihren Gesichtern konnte man die Himmelsrichtungen der Einwan - derung ablesen. Ihr Leben. Sie gingen selbstsicher ihrer Wege, stolz auf ihr gutes Aussehen. Die Mädchen hatten den verhaltenen Gang der Marseillerinnen angenommen und den frechen Blick, wenn ihnen jemand nachsah. Ich weiß nicht, wer einmal gesagt hat, sie seien Mutanten, aber es schien zu stimmen. Ich beneidete die jungen Männer von heute.
    Statt die Rue Vacon bis zum Anlegeplatz der Fähre am Kai Rive-Neuve weiterzugehen, bog ich links ab, um in den unterirdischen Parkplatz des Cours d'Estienne d'Orves hinunterzusteigen. Ich hatte mir eine Zigarette

Weitere Kostenlose Bücher