Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
beim Anblick Farges: »Du hast mir doch befohlen, der Hure die Zähne auszuschlagen.« Kaum war das Wort »Hure« bis zur Etage darunter durchgedrungen, erschien Gravis. Kuppelei war sein Gebiet. Und Farge kannte er wie seine Westentasche.
»In diesem Moment brachte ich meine Verwunderung zum Aus - druck, dass Farge kein Strafregister hatte.«
»Gut gespielt.«
»Gravis tobte, wir seien in einem Irrenhaus. Argue tobte noch lauter, er würde Farge sein Strafregister schon schnell genug verpassen. Und er gab Farge an Morvan weiter, für eine Führung durch den Keller ...«
»Und?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort erraten konnte.
»Sein Herz hat nicht mitgespielt. Herzschlag, eine Dreiviertelstunde später.«
Wie lange blieb mir noch zu leben? Ich überlegte, was ich vor dem Sterben essen wollte. Eine Fischsuppe, vielleicht. Mit einer guten Rouille, einer mit Peperoni angerührten Knoblauchsoße, verfeinert mit Seeigelfleisch und etwas Safran. Aber ich hatte keinen Hunger mehr. Und ich war wieder nüchtern.
»Und Mourrabed?«
»Wir sind sein Geständnis noch einmal durchgegangen. Er hat es unterschrieben. Dann habe ich ihn an Loubet weitergereicht. So. Und jetzt packst du aus. In was für eine Geschichte du ver w ickelt bist, und so weiter. Ich hab keinen Bock, dumm zu sterben.«
»Das ist eine lange Geschichte. Lass mich erst pissen gehen.«
Im Vorbeigehen bestellte ich mir einen weiteren Glenmorangie. Das Zeug schmeckte besser als Buttermilch. Auf der Toilette hatte ein kleiner Komiker geschrieben: »Bitte lächeln, Sie werden gefilmt.« Ich lächelte mein Lächeln Nr. 5. Fabio, alles wird gut. Du bist der Schönste. Du bist der Stärkste. Dann hielt ich meinen Kopf unter den Wasserhahn.
Als wir auf das Revier zurückkehrten, wusste Pérol alles. Bis ins kleinste Detail. Er hatte zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Es hatte gut getan, alles loszuwerden. Ich sah zwar nicht wirklich klarer, aber ich hatte das Gefühl zu wissen, wohin ich ging.
»Glaubst du, Manu wollte Zucca hereinlegen?«
Möglich war es. Nach dem, was er mir erzählt hatte. Der große Coup war nicht der Job. Sondern der Haufen Kohle, den er damit machen konnte. Andererseits, je länger ich darüber nachdachte, desto weniger passte alles zusammen. Pérol legte den Finger genau in die offene Wunde. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Manu Zucca übers Ohr haute. Er machte manchmal verrückte Sachen, aber die echten Gefahren konnte er wittern. Wie ein Tier. Und dann, es war Batisti, der ihn auf den Coup angesetzt hatte. Sein Wahlvater. Der einzige Mensch, dem er halbwegs vertraute. Das konnte er ihm nicht antun.
»Nein, ich glaube nicht, Gerard.«
Aber mir war schleierhaft, wer ihn hatte umlegen können.
Und dann fehlte mir noch eine andere Antwort: Wie hatte Leila Toni kennen gelernt?
Ich hatte vor, ihn zu fragen. Es war nur eine Kleinigkeit, aber sie ließ mir keine Ruhe. Das nagte wie Eifersucht. Leila verliebt ... Ich hatte mich mit diesem Gedanken abgefunden, aber nicht so leicht. Zugeben, dass eine Frau, die man begehrt, mit einem anderen ins Bett geht? Ich hatte beschlossen, das zu akzeptieren, aber es war nicht einfach, wirklich nicht. Mit Leila hätte ich vielleicht wieder bei null anfangen können. Das Leben neu erfinden. Aufbauen. Befreit von der Vergangenheit, von Erinnerungen, Illusio nen. Leila war Ge - genwart, Zukunft. Ich steckte in meiner Vergangenheit. Wenn es für mich ein glückliches Morgen gab, musste ich zu dem verpassten Rendezvous zurückkehren. Zu Lole . So viel Zeit war zwischen uns verstrichen.
Leila mit Toni ‒ ich verstand es nicht. Aber Toni hatte Leila einfach mitgenommen. Der Hausmeister aus dem Studentenwohnheim hatte nachmittags angerufen, sagte Pérol. Seine Frau habe sich daran erinnert, wie Leila in einen Golf mit Schiebedach gestiegen sei. Vorher habe sie auf dem Parkplatz ein paar Minuten mit dem Fahrer gesprochen. Seine Frau hatte noch gedacht: »Na, die langweilt sich bestimmt nicht, die kleine Hure!«
Hinter den Gleisen des Bahnhofs Saint-Charles, eingeklemmt zwi - schen der Ausfahrt der nördlichen Autobahn und den Boulevards Plombières und National, lag das Viertel Belle-de-Mai unverändert. Dort lebte man wie früher. Weit weg vom Zentrum, das nur wenige Minuten entfernt war. Es herrschte Dorfatmosphäre. Wie in Vauban, La Blancarde, Le Rouet oder La Capelette, wo ich aufgewachsen war.
Als Jungs waren wir oft nach Belle-de-Mai gegangen. Um uns zu prügeln. Häufig wegen der
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