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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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geantwortet.
    Wir hatten gelacht. Jetzt war die nächste Generation an der Reihe. Sie machte alles noch mal durch. In den Häusern unserer Eltern. Glaubte sich im Paradies auf Erden und betete, dass es anhielt. Mein Vater hatte gesagt: »Vergiss nicht. Als ich hier eines Morgens mit meinen Brüdern ankam, wussten wir nicht, ob wir mittags etwas zu essen hatten, und wir haben trotzdem gegessen.« Das war die Geschichte von Marseille. In alle Ewigkeit. Eine Utopie. Die einzige Utopie der Welt. Ein Ort, wo jeder, egal welcher Hautfarbe, mit dem Koffer in der Hand und ohne einen Sou in der Tasche aus einem Schiff oder Zug steigen und sich in den Menschenstrom mischen konnte. Eine Stadt, wo, kaum war er gelandet, jeder Mensch sagen konnte: »Hier ist es. Ich bin zu Hause.«
    Marseille gehört denen, die es bewohnen.
    Ange setzte sich mit einem Pastis an meinen Tisch.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte ich. »Alles wird sich einrenken. Es gibt immer eine Lösung.«
    »Pérol sucht dich seit gut zwei Stunden.«
    »Wo steckst du! Himmel, Arsch und Zwirn!«, brüllte Pérol.
    »Bei Ange. Komm her. Nimm den Wagen.« Ich hängte auf und stürzte hastig einen dritten Cognac hinunter. Es ging mir schon viel besser.
    Ich wartete in der Rue de l'Evêché auf Pérol, unten an den Stufen der Passage Sainte-Françoise. Da musste er vorbeikommen. Nach einer Zigarettenlänge war er da.
    »Wo gehen wir hin?«
    »Ferré hören, einverstanden?«
    In der Bar des Maraîchers à la Plaine bei Hassan gab es nicht etwa Raï, Reggae oder Rock. Nur französische Chansons: Brel , Brassens und Ferré. Der Araber machte sich einen Jux daraus, die Erwar - tungen der Gäste zu durchkreuzen.
    »Hallo, Fremde«, grüßte er, als er uns hereinkommen sah.
    Hier waren alle Fremden Freunde. Egal welche Haut-, Haar— oder Augenfarbe. Hassan hatte sich eine stolze Kundschaft aus Schülern und Studenten zugelegt. Von der Sorte, die Kurse schwänzten, am liebsten die wichtigsten. Sie nahmen vor einem Halben die Zukunft der Welt auseinander, und dann, nach sieben Uhr, gingen sie daran, sie wieder aufzubauen. Das änderte nichts, aber es war gut, so wie es war. Ferré sang:
    Wir sind keine Heiligen.
    Zur Glückseligkeit haben wir nur Cinzano.
    Arme Waisen,
    beten wir aus Gewohnheit zu unserem Vater Pernod.
    Ich wusste nicht, was ich trinken wollte. Die Stunde für den Pastis hatte ich übersprungen. Nach einem Blick auf die Flaschen entschied ich mich für einen Glenmorangie. Pérol nahm einen Halben.
    »Bist du noch nie hier gewesen?«
    Er schüttelte den Kopf und sah mich an, als sei ich ernsthaft krank. »Du solltest öfter rausgehen. Verstehst du, Pérol, wir sollten abends mal auf Tour gehen, wir beide. Um den Bezug zur Realität nicht zu verlieren, kapierst du? Man verliert den Boden unter den Füßen, und schwuppdiwupp weiß man nicht mehr, wo die Seele abge - blieben ist. Bei den Kumpels. Bei den Frauen. Richtung Hof oder Küche. Im Schuhkarton. Eh man sichs versieht, geht man in der untersten Schublade zwischen dem Krimskrams verloren.«
    »Hör auf«, sagte er ruhig, aber bestimmt.
    »Was meinst du«, redete ich weiter, ohne auf seine Wut zu achten, »ein paar Goldbrassen wären jetzt genau richtig. Gegrillt, mit Thymian und Lorbeer. Und nur einen Hauch Olivenöl darüber. Deiner Frau würde das gefallen, glaubst du nicht?« Ich hatte Lust, übers Kochen zu reden. Ein Inventar aller Gerichte aufzustellen, die ich zubereiten konnte. Cannelloni mit Schinken und Spinat zu zaubern. Einen Tunfischsalat mit neuen Kartoffeln anzurichten. Marinierte Sardinen. Ich hatte Hunger.
    »Hast du keinen Hunger?« Pérol antwortete nicht. »Pérol, ich muss dir gestehen, ich weiß nicht einmal mehr deinen Vornamen.«
    »Gérard«, sagte er und lächelte schließlich.
    »Gut, mein Gégé. Einen trinken wir noch, und dann gehen wir einen Happen essen. Was meinst du?«
    Statt zu antworten, erzählte er mir von dem Schlamassel im Bul - lenstall. Argue hatte Anspruch auf Mourrabed angemeldet, wegen der Waffen. Brenier wollte ihn wegen der Drogen. Loubet weigerte sich, ihn rauszugeben, weil er, verflucht noch mal, in einem Mord - fall ermittelte. Folglich hatte Argue sich auf Farge gestürzt. Der hatte den großen Macker herausgekehrt, war sich seiner Protektionen zu sicher gewesen. Er hatte Schläge kassiert. Argue tobte, wenn er nicht rausrücke, wo die Waffen in seinem Keller herkamen, würde er ihm den Kopf abreißen.
    Am anderen Ende des Korridors brüllte Monsieur Muskel

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