Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
es anzurühren. Ich musste für Pérol fischen gehen, für seine Frau und seine Tochter. Im Moment hatte ich aber keinen Grund hin - auszufahren. Überhaupt keinen. Vielleicht morgen. Oder übermorgen.
Die Freude am Fischen würde wiederkommen. Und mit ihr di e Freude an einfachen Dingen. Honorine beobachtete mich oben von der Treppe aus. Es stimmte sie traurig, mich so zu sehen. Aber sie würde keine Fragen stellen. Sie würde warten, bis ich von selber redete, wenn mir danach war.
Ich zog Wanderschuhe an, nahm eine Mütze und einen Rucksack mit einer Thermoskanne Wasser und einem dicken Handtuch. Ich brauchte Auslauf. Der Weg über die Felsbuchten hatte mein Gemüt immer beruhigt. Ich hielt bei einem Blumenhändler am Mazargue-Kreisel. Ich suchte zwölf Rosen aus und schickte sie Babette. Ich ruf dich an. Danke. Und ich verdrückte mich Richtung Col de la Gineste.
Ich kam spät zurück. Ich war gelaufen. Von einer Bucht zur nächsten. Hatte mich auf meine Beine, meine Arme, meine Muskeln konzentriert. Und den Atem. Ein, aus. Ein Bein vor, ein Arm vor. Und noch ein Bein und noch ein Arm. Den ganzen Dreck ausschwitzen, trinken, noch mehr schwitzen. Ein Sauerstoffaustausch. Total. Ich konnte wieder unter die Lebenden zurückkehren.
Minze und Basilikum. Der Duft füllte meine erneuerten Lungen. Mein Herz begann wie wild zu schlagen. Ich atmete tief ein. Auf dem niedrigen Tisch standen die Pfefferminz-und Basilikumpflanzen, die ich bei jedem Besuch in Loles Wohnung gegossen hatte. Daneben ein Leinenkoffer und ein kleinerer, schwarzer Leder - koffer.
Lole erschien in der Terrassentür. In Jeans und schwarzem Top. Ihre Haut glänzte kupfern. Sie sah aus wie immer. Wie in meinen Träumen. Schön. Sie hatte die Zeit unbeschadet überstanden. Ein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Sie ließ ihre Augen auf mir ruhen.
Ihr Blick. Auf mir.
»Ich habe angerufen. Keine Antwort. Ein Dutzend Mal. Dann habe ich ein Taxi genommen und bin gekommen.«
Wir standen uns gegenüber. Kaum einen Meter voneinander entfernt. Bewegungslos. Mit hängenden Armen. Wie überrascht, uns vor dem anderen wiederzufinden. Lebend. Eingeschüchtert.
»Ich bin froh, dass du da bist.«
Reden.
Ich sprudelte ohne Punkt und Komma Banalitäten hervor. Die Hitze. Eine Dusche. Wartest du schon lange? Hast du Hunger? Durst? Willst du Musik? Einen Whisky?
Sie lächelte wieder. Ende der Banalitäten. Sie setzte sich auf das Sofa, vor die Pfefferminz-und Basilikumpflanzen.
»Ich konnte sie nicht da unten lassen.« Noch ein Lächeln. »Das konntest nur du gewesen sein.«
»Irgendeiner musste es tun, meinst du nicht?«
»Ich glaube, ich wäre auch sonst zurückgekommen. Was immer du gemacht oder nicht gemacht hast.«
»Sie zu begießen hieß, den Geist der Wohnung am Leben zu erhalten. Du hast uns das beigebracht. Da, wo der Geist lebt, ist der andere nicht weit. Ich brauchte dich. Um weiterzukommen. Die Türen um mich herum zu öffnen. Ich lebte abgeschlossen. Aus Faulheit. Man ist mit immer weniger zufrieden. Eines Tages ist man mit allem zufrieden. Und glaubt, das sei das Glück.«
Sie stand auf und kam zu mir. Mit ihrem leichten Gang. Meine Arme waren offen. Ich brauchte sie nur noch an mich zu drücken. Sie küsste mich. Ihre Lippen waren so samtig wie die Rosen, die ich Babette heute Morgen geschickt hatte, und fast ebenso dunkelrot. Ihre Zunge suchte die meine. So hatten wir uns noch nie geküsst.
Die Welt war wieder in Ordnung. Unsere Leben. Alles, was wir verloren, verpasst, vergessen hatten, bekam schließlich einen Sinn. Durch einen einzigen Kuss.
Diesen Kuss.
Wir hatten die gefüllten Auberginen gegessen, aufgewärmt, mit einem Hauch Olivenöl. Ich öffnete eine Flasche Terrane, einen Roten aus der Toskana, den ich für eine besondere Gelegenheit aufgehoben hatte. Souvenir einer Reise mit Rosa nach Volterra. Ich erzählte Lole alles. Bis ins Detail. Wie man die Asche eines Verstorbenen verstreut. Und der Wind sie davonträgt.
»Ich wusste es. Mit Simone. Aber ich habe nicht an Manu und Simone geglaubt. Auch nicht mehr an Manu und Lole . Ich glaubte an gar nichts mehr. Als Ugo angekommen ist, wusste ich, dass alles zu Ende ging. Er ist nicht wegen Manu zurückgekommen. Er ist für sich selbst zurückgekommen. Weil er seiner Seele nicht mehr hinter - herlaufen konnte. Er brauchte einen guten Grund, um zu sterben.«
»Weißt du, ich hätte Manu umgebracht, wenn er bei Simone geblieben wäre. Nicht aus Liebe. Auch nicht aus Eifersucht. Sondern
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