Marter: Thriller (German Edition)
und gingen zu Fuß weiter. Der Bauernhof bestand aus einem verwahrlosten Häuschen und vier oder fünf baufälligen Ställen für die Tiere. Eine kleine Scheune war durch ein Feuer vollständig ausgebrannt.
»Nicht viel zu sehen hier«, bemerkte Holly. Sie richtete dennoch die Kamera darauf und schoss ein paar Fotos.
Kat machte einen Schritt vorwärts und spürte etwas Kleines, Rundes unter ihrem Fuß. Als sie mit der Fußspitze den Efeu zur Seite schob, sah sie etwas glitzern. Patronenhülsen. Ein Stück weiter stolperte sie um ein Haar über eine verrostete Kette. Sie zerrte daran und befreite sie von dem Gras, von dem sie überwuchert war. Das andere Ende war an einem Baum befestigt.
Kat durchfuhr ein Schauder. Vielleicht lag es lediglich an der Macht der Suggestion – sie wusste ja, dass hier schreckliche Dinge geschehen waren –, doch irgendetwas hatte der Ort an sich, das ihr Angst einjagte. Ähnlich hatte sie sich gefühlt, als sie in der verlassenen Anstalt auf Poveglia herumgelaufen war.
»Lass uns nach hinten gehen«, schlug Holly vor.
Auf der Rückseite des Gebäudes war der Verfall noch deutlicher zu erkennen. Dort standen rostige Gerätschaften im kniehohen Unkraut herum. Ein wirrer Haufen Eisenstreben war zu sehen, an einer Stelle am Waldrand, an der ein weiteres Gebäude eingestürzt war.
»Noch ein paar Schnappschüsse. Dann können wir gehen«, sagte sie, gerade als Holly die Hand hob.
»Was war das?«
Sie lauschten. Da war es wieder. Die Stimme einer Frau drang vom verfallenen Bauernhaus zu ihnen.
Kat stellten sich die Nackenhaare auf, und eine Gänsehaut kroch ihr über die Unterarme. Einen Augenblick dachte sie: ein Geist . Doch da hörte sie eine männliche Stimme und Motorengeräusche. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Holly. Dann schlichen sie zur Ecke des ausgebrannten Scheunengerippes.
Vor dem Häuschen parkte ein Van. Holly hob die Kamera und schoss eine Reihe Fotos, während er davonfuhr. Dann wandten die beiden Frauen sich wieder zur Scheune um. An einer Seite waren kleine, hoch angebrachte Fenster eingelassen.
Als sie einen Blick hineinwarfen und versuchten, das düstere, spätnachmittägliche Licht zu durchdringen, entdeckten sie fünf junge Frauen, die auf einem umgekippten Futtertrog saßen und warteten. Auf dem Betonboden neben ihnen standen fünf Koffer.
Sie zogen sich an den Waldrand zurück, um sich zu beratschlagen.
»Das gehört zur Schlepperroute«, sagte Kat. »Die Leute, die Melina von Brezic aus bis nach Italien geschleust haben. Das hier muss ein Teil davon sein.«
»Ich schätze mal, die Gründe, weshalb das hier in Kriegszeiten so ein guter Stützpunkt war, treffen immer noch zu. Der Hof liegt absolut abgeschieden und ist sicher. Und ich möchte wetten, dass die Leute, die hier wohnen, immer noch schlau genug sind, sich von hier fernzuhalten.«
»Vielleicht wurde Melina am selben Ort festgehalten wie ihre Mutter«, überlegte Kat laut, als ihr dieser schaurige Zufall in den Sinn kam.
»Was machen wir jetzt?«
»Wegen denen da? Ich befürchte, da gibt es nicht viel, was wir im Moment tun könnten. Wenn diese Mädchen hier Ähnliches erleben wie die Mädchen, mit denen ich in Venedig gesprochen habe, dann haben sie sich sowieso bereits eine Geschichte zurechtgelegt, von wegen, sie würden als Kindermädchen oder Putzfrauen arbeiten. Sie vertrauen den Schleusern voll und ganz, da werden sie nicht auf zwei ausländische Frauen hören, die wie aus dem Nichts auftauchen und ihnen erklären, dass das alles gelogen ist. Und wenn sie den Schleusern von uns erzählen, könnte das hässlich werden.«
Sie kehrten zu ihrem Wagen zurück und fuhren im Rückwärtsgang den Berg hinunter.
»Deswegen ist es eben doch wichtig«, sagte Kat unvermittelt.
Holly sah sie fragend an. »Was ist wichtig?«
»Deswegen müssen auch ältere Verbrechen verfolgt werden, nicht weniger als die aktuellen. Sonst wiederholt sich alles immer nur.«
Als sie die Straße erreichten, wendete Holly den Wagen.
Kat beugte sich nach vorn und deutete auf etwas. »Warte mal. Was ist das denn?«
Etwa anderthalb Kilometer unter ihnen sprangen soeben Soldaten von drei Lastwagen und strömten in die umliegenden Felder aus. Ein greller Blitz leuchtete auf, dann hallte ein dumpfes Granatengeräusch durch die Wälder.
»Das ist wohl die Truppenübung, die wir vorhin schon mitgekriegt haben«, bemerkte Holly.
»Holly«, sagte Kat gedehnt, »kann es sein, dass die unseretwegen hier sind?«
»Ich
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