Marter: Thriller (German Edition)
Lastwagen an. Auch Polizisten, Feuerwehrleute, Stadtangestellte … Sie alle sagten: ›Wir werden dich zu einem guten Tschetnik-Mädchen machen. Du wirst starke serbische Babys für uns zur Welt bringen.‹ Manchmal aber töteten sie eine Frau, wenn sie ihnen nicht mehr gefiel. Ich denke also, dass die Babys gar nicht so wichtig waren für sie. Ich glaube, das war nur … nur …« Sie suchte nach dem richtigen Wort.
»Ein Vorwand für das, was sie taten?«
» Da . Vorwand. Selbstverständlich wollten wir lieber sterben. Wir waren davor alle gute Frauen gewesen.«
»Wie alt waren Sie damals, Soraya?«
»Vierzehn«, erklärte Soraya sachlich.
Vierzehn. Gütiger Gott! »Und Jelena war ebenfalls dort«, erwiderte Kat sanft. Sie gab sich alle Mühe, ihr Entsetzen nicht zu zeigen.
»Ja. Sie war wie eine Mutter für uns – sie hat uns geholfen. Sie erzählte uns, sie habe einmal eine Frau getroffen, und diese Frau habe sie zur Priesterin gemacht. Sie segnete die Leute und betete für sie. Wenn Kinder zur Welt kamen, taufte sie sie. Selbst ich als Muslimin ließ sie für mich beten. Wir alle waren froh darüber.«
»Wie lange ging das so, Soraya?«
»Das alles habe ich doch bereits der Amerikanerin erzählt.«
»Das weiß ich. Sie müssen es mir aber noch einmal erzählen, damit wir Ihre Aussage als Beweismittel vor Gericht verwenden können.«
Soraya griff nach einem Kohlkopf und begann, die äußeren Blätter abzuziehen. »Es fühlte sich an, als hätte es mein ganzes Leben gedauert. In Wirklichkeit aber waren es nur ein paar Monate. Dann kehrte die kroatische Armee zurück und vertrieb die Serben. Eine Woche lang wurde gekämpft – viele Menschen starben. Dann kamen die Kroaten ins Lager und sagten …« Sie hielt inne, ihre Hände völlig reglos.
»Ja, Soraya? Was sagten sie?«
»Sie sagten: ›Ihr kroatischen Frauen könnt jetzt nach Hause gehen.‹«
»Was ist mit Ihnen? Sind Sie auch nach Hause zurückgekehrt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Bosnierin, Muslimin.«
»Sie zwangen Sie dortzubleiben?«
» Da . Andere Armee, andere Uniform. Sonst aber war alles gleich.«
»Die Kroaten vergewaltigten Sie also, genau wie die Serben es getan hatten?«
»Da« , flüsterte sie.
Ihre gefasste Fassade bröckelte bereits, was Kat nicht entging. Und dann gab es nur noch zwei Möglichkeiten. Sie würde entweder nicht mehr reden können vor lauter Tränen, oder sie würde sie bitten zu gehen.
»Und was ist mit anderen Männern abgesehen von den Serben und den Kroaten?«, erkundigte Kat sich. »Gab es solche auch?«
Soraya nickte. »Nicht viele, aber es waren genug. Sie erklärten den Soldaten ständig, dass sie zu nett zu uns wären. Sie sagten: ›Nein, nicht so. Seid ihr Soldaten oder Kinder? Glaubt ihr vielleicht, die Serben würden eure Frauen so behandeln? So müsst ihr es machen.‹« Nun rannen Soraya Tränen über die Wangen. Verärgert wischte sie sie fort. »Sie müssen jetzt gehen. Mein Mann wird jeden Moment nach Hause kommen. Er hat es nicht gern, wenn ich über diese Dinge rede.«
»Soraya, könnten Sie einen der ausländischen Männer, die Ihnen dort begegnet sind, identifizieren? Erkennen Sie beispielsweise diesen Mann hier?« Damit hielt Kat ihr ein Foto hin.
Soraya sah es sich an. »Sergeant Findlater«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme.
»Er hat Sie vergewaltigt?«
»Da.«
»Und Sie wurden schwanger? Wie können Sie sicher sein, dass es sein Kind ist?«
»Zum damaligen Zeitpunkt war ich mir nicht sicher. Aber später schon. Sie sah genauso aus wie er.«
»Was geschah, nachdem Sie schwanger geworden waren?«, hakte Kat nach.
»Jelena kam zurück. Sie sprach mit den Verantwortlichen. Sie hat einen Deal für mich ausgehandelt.«
»Was für eine Art Deal?«
Schweigend zog Soraya den Ärmel ihres Pullovers hoch. Auf ihrem Unterarm prangte ein ste ć ak -Tattoo.
»Die Bedingung war, dass ich zum Christentum konvertiere. Das Baby sollte eine Christin werden. Wenn ich mich taufen ließ und auch das Baby, dann würde man sie in einem Waisenhaus aufnehmen.«
»Jelena hat Sie also bekehrt?«
»Sie half mir. Das war der einzige Weg.«
»Und Sie waren einverstanden?«
» Da . Jelena hat uns beide getauft. Ich wurde zur Katholikin. Wenn die Leute dann sagten, ich sei ein schmutziges muslimisches Schwein, dann erwiderte ich: ›Nein, ich bin ein schmutziges katholisches Schwein.‹ Und alle waren zufrieden.« Sie trocknete ihre Wangen. »Schließlich war der Krieg zu Ende. Ich habe
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