Marter: Thriller (German Edition)
bahnbrechende Erkenntnis. Ich dachte, diese Konferenz wäre eine Chance, meine Ideen zu verbreiten – warum sollten sie mich schließlich sonst dazu eingeladen haben? Erst ungefähr am dritten Tag wurde mir klar, dass sie meine Thesen nicht dazu verwenden wollten, um einen Krieg zu verhindern. Im Gegenteil, sie benutzten sie als Vorlage, um ihn anzuzetteln.«
»Was haben Sie unternommen?«
»Oh, ich habe protestiert, sicher. Aber sie waren ziemlich clever. Sie sagten, sie wollten nur sichergehen, dass es nicht eskaliert. Da man jetzt wüsste, wie gesellschaftliche Konflikte funktionieren, könne man lernen, sie zu kontrollieren – ganze Bevölkerungen umstimmen, Spannungen entschärfen, ehe sie sich zu einem Völkermord auswachsen … Jemand benutzte den Begriff ›ethnische Säuberungen‹. Der Mann von der PR -Agentur war das, glaube ich. Es klang alles so vernünftig, so pragmatisch. Und ich dachte, nun gut, die Ideen sind ja jetzt bekannt, es steht alles in meinem Forschungsbericht. Was hätte es wohl bewirkt, wenn ich einfach hinausspaziert wäre? Indem ich blieb, konnte ich zumindest auf das Ergebnis Einfluss nehmen. Um dafür zu sorgen, dass der Krieg, der, so versicherten sie mir, unvermeidbar war, so rasch und sauber über die Bühne ging wie möglich. Stattdessen entpuppte sich das Ganze als einer der barbarischsten Konflikte des zwanzigsten Jahrhunderts.«
Pater Uriel nickte. »Blut klebt an meinen Händen. So viel Blut. Es hat Paul Doherty vernichtet – restlos vernichtet. Jahrelang war er als Patient in einer der psychiatrischen Einrichtungen, in denen er selbst vorher als Ausbilder tätig war. Und dann fand er schließlich ein Heilmittel. Oder vielmehr hat es ihn gefunden.«
»Was war es?«
»Gott«, antwortete der Priester schlicht. »Gott hat mich gerufen. Er sagte mir, ich würde einem Zweck dienen – einem göttlichen Zweck –, und er erklärte mir, wie ich ihn erfüllen würde, indem ich anderen diente. Diejenigen, die Taten begangen hatten, so schrecklich, dass nur Gott allein sie vergeben konnte – sie sollten meine Schäfchen sein. Es begann mit einigen Leuten, die in genau dem Krieg gekämpft hatten, den ich mit angestiftet hatte – Leute, die derart schreckliche Dinge getan hatten, dass sie nicht einmal im Beichtstuhl darüber reden konnten. Es waren sogar einige Priester unter ihnen – Männer Gottes –, die die schlimmsten, abstoßendsten Grausamkeiten initiiert hatten … Damals begann ich, mich auf sie zu konzentrieren. Und so entwickelte es sich weiter.«
»Und diese Einrichtung hier?«
»Zu dem Zeitpunkt war ich selbst auf dem besten Wege, die Ordination zu empfangen. Doch war mir klar, dass es meine Berufung war, meine Arbeit als Psychiater unter den Gefallenen fortzuführen. Ich war überzeugt, dass vielen von denen, die an der Operation William Baker beteiligt waren, nicht klar gewesen war, welch tödliche Früchte der von ihnen gestreute Samen tragen würde … Ich schlug ihnen vor, sie könnten eine Einrichtung unterstützen für Leute, die wie sie tief in die eigene Seele gesehen und dort das größte Übel erblickt hatten.«
»Sie haben sie erpresst ?«
Pater Uriel schüttelte den Kopf. »Ich würde es eher als eine Art Einforderung einer Schuld betrachten. Schließlich profitierten die diversen Gruppierungen, die an dieser Operation beteiligt waren, von dem Krieg. Ich bot ihnen lediglich an, dabei zu helfen, hinterher die Trümmer zu beseitigen.«
»Und der Orden des Melchizedek? Wer genau sind diese Leute?«
Der Priester runzelte die Stirn. »Es handelt sich um eine wohltätige Einrichtung, durch deren Hände die Spenden für das Institut laufen, nichts weiter.«
»Ich benötige eine Liste an Namen«, forderte Daniele. »Jedes Detail, an das Sie sich erinnern können.«
Wieder seufzte sein Gegenüber. »Daniele, stellen Sie sich doch bitte folgende Frage. Was bringt es wohl, wenn Sie all das ans Licht zerren? Dieser Forschungsbericht von mir … Sobald man davon erfährt, werden auch andere – viele andere – den Text ausfindig machen, genau wie Sie. Die darin enthaltenen Thesen, die Werkzeuge, durch die gesellschaftliche Unruhen in einen Völkermord verwandelt werden, werden allgemein bekannt sein. Leute wie Sie – jene Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist – sind in der Regel der Überzeugung, dass Offenheit gut ist und Geheimnistuerei schlecht. Doch auch das Gegenteil kann der Fall sein. Manchmal ist es gerade die Geheimhaltung, die
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