Marter: Thriller (German Edition)
zurück zum Pförtnerhäuschen geleitete. »Machen Sie das eigentlich dauernd?«
»Was meinen Sie, Signora?«
»Dass Sie Besucher auf das Gelände und wieder raus eskortieren?«
Der Carabiniere zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Mindestens zwanzig Mal am Tag. Das gehört dazu, um den Anschein zu erwecken, wir befänden uns hier immer noch auf italienischem Gebiet. Dabei tun die Yankees hier in Wirklichkeit, was sie wollen. Unser Comandante ist, zumindest auf dem Papier, verantwortlich für das gesamte Camp, wussten Sie das? Doch in Wahrheit braucht man ihn hier nur, um ihn in seiner Paradeuniform vorzuführen, wenn Medaillen verliehen werden. Gott weiß, was ich verbrochen habe, dass ich diesen Scheißjob machen muss.«
Kat kam ein Gedanke. »Führen Sie Listen? Von all den Besuchern hier, meine ich?«
»Gewissermaßen. Wir notieren uns Namen und Uhrzeit. Offen gesagt, haben wir sonst nicht viel zu tun.«
»Haben Sie denn die Aufzeichnungen aus dem Jahr 1995 noch?«
»Wenn Sie mich das ein paar Monate eher gefragt hätten, hätte ich dies bejahen können.«
»Wieso? Was ist in der Zwischenzeit geschehen?«
»Wir hatten einen Brand in dem Lager, in dem die Unterlagen der Carabinieri aufbewahrt werden. Und nicht nur die, sondern alles, was mit der gesamten Provinz zu tun hat. Die Leute geben der Mafia die Schuld.«
»Die Leute geben der Mafia die Schuld an allem.«
»Stimmt, aber wer hätte es auch sonst sein sollen?«
»Klar«, meinte Kat, da ihr wieder einfiel, was das Mäuschen vorhin gesagt hatte. Eine Zeit, aus der wir keinerlei Unterlagen mehr vorliegen haben . Das hieß also, dass mittlerweile im Camp Ederle keiner mehr irgendwelche Unterlagen zu dieser Zeit hatte. Doch vielleicht war das gar nicht mal so überraschend, wenn man bedachte, wie lange das her war.
Soeben hatten sie die Sicherheitsschranke erreicht. Der Carabiniere salutierte zum Abschied, wobei sein Ellbogen traurig herabhing bei dem Gedanken an sein anhaltendes Elend.
Während Holly das Zimmer aufräumte, ärgerte sie sich ein wenig über sich selbst, da sie sich von der Frau hatte provozieren lassen. Dabei unterschieden sich die Arbeit des Geheimdienstes und der Polizei letzten Endes gar nicht so sehr – bei beiden kam es darauf an, dass man die Tatsachen mit kühlem Kopf und völlig vorurteilsfrei analysierte. Doch die Italienerin war hereingerauscht und hatte willkürlich mit Anspielungen und Anklagen um sich geworfen. »Wie praktisch«, hatte sie anerkennend erwidert, als sie von der Auslagerung der Archive erfahren hatte. Holly war schon die Bemerkung auf der Zunge gelegen, dass das US -Militär wohl nie eine einzige Schlacht geschlagen hätte, wenn es so durch und durch korrupt wäre, wie die Carabinieri es offensichtlich waren – genau wie die Italiener im Allgemeinen. Doch wäre das wohl kaum konform gewesen mit den Richtlinien der Hearts-and-Minds-Initiative.
Seufzend schüttelte Holly den Kopf. Leute wie Capitano Tapo riefen ihr jedes Mal in Erinnerung, dass man noch so gutes Italienisch sprechen konnte, fast so gut wie eine Muttersprachlerin, und für eine solche hätte man sie halten können. An der Kluft hinsichtlich der Denkweise änderte dies indessen nichts.
Ihr kam der Gedanke, dass es nun, da Barbara Holton tot war, keinen Grund mehr gab, an der FOIA -Anfrage weiterzuarbeiten. Sie machte sich im Geiste eine Notiz, eine Kopie des Totenscheins zu verlangen, damit sie den Fall zu den Akten legen konnte. Außerdem sollte sie wohl besser Ian Gilroy darüber informieren, dass er keine Zeit vergeuden und die Dokumente übersetzen sollte, die sie ihm gegeben hatte.
Zurück an ihrem Schreibtisch, warteten zwei E-Mails auf sie. Beide hatten sie mit der FOIA -Anfrage zu tun. Die erste Nachricht kam von der CIA -Sektion in Mailand.
Wir vom CIA bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die Existenz von Papieren, die Ihrer Anfrage entsprechen, weder bestätigen noch widerlegen können.
Die zweite Nachricht kam aus dem Büro des Verteidigungsministeriums.
Wir vom Verteidigungsministerium bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die Existenz von Papieren, die Ihrer Anfrage entsprechen, weder bestätigen noch widerlegen können.
Man wollte sie also hinhalten. Und man verwendete sogar noch denselben Wortlaut. Allerdings war das gar nicht so ungewöhnlich, rief sie sich selbst ins Gedächtnis. Viel ungewöhnlicher wäre es gewesen, wenn man tatsächlich etwas gefunden hätte.
Barbara Holton mochte ja
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