Marter: Thriller (German Edition)
Patienten reden, Pater, da meinen Sie doch Priester, nehme ich an?«
Falls er verärgert war, dass Schwester Anna dieses Detail preisgegeben hatte, wusste er es gut zu verbergen. »Bei diesem Institut handelt es sich um eine privat finanzierte wohltätige Einrichtung, die unter der Aufsicht der katholischen Kirche arbeitet. Daher geben wir Leuten aus der kirchlichen Gemeinschaft den Vorzug.«
»Gefallenen Priestern.«
»Kranken Priestern«, korrigierte er sie. »Wie ich Ihnen, glaube ich, bereits erklärt habe, kombiniert der Ansatz, dem wir hier nachgehen, das Medizinische mit dem Spirituellen. Es gibt zwischen beidem größere Überschneidungen, als viele Leute sich das vorstellen können. Kognitive Verhaltenstherapie und die strenge Selbstergründung im Kloster zum Beispiel haben große Ähnlichkeit. Gebet und Visualisierungstherapie, Beichte und Gesprächstherapie … Selbst so offenkundig veraltete Konzepte wie Buße und Reue haben ihre Parallelen in den zwölf Schritten der Suchtprogramme.«
»Und die Medikamente, die Sie hier einsetzen?«
»Sie helfen, die Symptome in den Griff zu bekommen und die Patienten empfänglicher für die Therapie zu machen.«
»Sie sind leichter zu beeinflussen, meinen Sie damit wohl?«, entgegnete sie, in der Hoffnung, ihn zu provozieren.
Doch Pater Uriel bewegte sich nun auf vertrautem Terrain, und seine Sätze waren so präzise formuliert, als hätte er sie viele Male zuvor vorgetragen.
»Wenn es so einfach wäre, die Kranken zu heilen, indem man ihnen schlichtweg suggeriert, dass sie geheilt sind«, entgegnete er in gnädigem Ton. »Selbstverständlich hat es bei unserem Herrn gewirkt, doch in diesen Mauern können wir uns nicht auf Wunder verlassen.«
Hinter einer der verschlossenen Türen hörte sie nun das Stöhnen einer Frau, schwach, aber unverkennbar in gespielter Ekstase. »Ist das ein Porno , was man da hört?«
Er legte nur den Kopf schief und ging weiter. »Schon möglich. Das Flooding, bei dem man den Süchtigen ununterbrochen mit dem Objekt seiner Begierde konfrontiert, ist eine Standardbehandlung in gewissen Fällen von Sexsucht.«
Er führte sie durch ein Refektorium mit hoher Decke hinein in die Küche. Männer in braunen Habiten und mit verknoteten Gürteln an den Hüften bereiteten an langen Tresen Essen vor. Einige von ihnen blickten auf. Sie spürte, wie sich ihre Blicke für einen kurzen Moment in sie bohrten, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten.
»Das hier ist nicht einfach nur ein Krankenhaus. Wir sind auch eine Glaubensgemeinschaft«, erklärte Pater Uriel. »Während sie unter uns weilen, befolgen die Patienten wie alle anderen die Klosterregeln.«
Es war gespenstisch still geworden. »Sogar das Schweigegelübde?«
»Ja. Außer in den Behandlungsräumen und in anderen eigens ausgewiesenen Bereichen. Wir sind der Ansicht, so können sie sich besser auf ihre Behandlung konzentrieren.«
Ein hochgewachsener, stämmiger Mann, der zu seiner Mönchstracht unpassenderweise eine schwarze Wollmütze trug, betrat mit einem toten Reh über der Schulter den Raum. Das wuchtete er nun hinunter auf einen der Tresen und griff sich ein Messer. Blut triefte aus einem sauberen Loch zwischen den beiden stumpfen Geweihstangen.
»Dieses Reh wurde erschossen«, stellte Kat überrascht fest.
Pater Uriel nickte. »Sicher. Wir sind hier fast völlig autark – unsere Anlage ist von achtzig Hektar Weideland und Wald umgeben. Der Großteil unserer Patienten bringt sich auf die eine oder andere Weise in die Feldarbeit ein.«
»Bewundernswert. Es überrascht mich allerdings, dass Sie Patienten der Psychiatrie den Umgang mit Feuerwaffen gestatten.«
»Wir sind äußerst vorsichtig, das kann ich Ihnen versichern. Doch Vertrauen und die Wiedereingliederung in die Gemeinschaft sind für unsere Arbeit hier unentbehrlich. Bis auf wenige Ausnahmen, wo es um eine besondere Behandlung geht, bleiben die Türen hier unverschlossen.«
»Ich benötige eine Auflistung sämtlicher Waffen sowie von den darin verwendeten Kalibern.«
»Selbstverständlich«, erwiderte er steif. »Obwohl ich Ihnen versichern kann, dass Sie keine Unregelmäßigkeiten feststellen werden.«
Durch eine andere Tür geleitete er sie zur Küche hinaus auf einen langen Flur. Das hier war eindeutig ein Teil des ursprünglichen Klosters. Über ihren Köpfen wurde die Decke von massiven Steinbogen gestützt. Pater Uriel eilte raschen Schrittes voraus.
Zu ihrer Rechten erhaschte sie einen Blick auf einen
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