Marter: Thriller (German Edition)
ein Bruchteil der Kapazität einer modernen Kreditkarte. Doch als er zwölf wurde, beherrschte er die Programmiersprache BASIC ebenso gut wie das Italienische, die Sprache seines Vaters, und wie das Englische, seine Muttersprache. Darüber hinaus fühlte er sich bei Weitem wohler in der Welt, in der diese Sprache gesprochen wurde, als in dem, was andere als »reale« Welt bezeichneten. In diesem neu entdeckten Universum folgte alles einer Reihe von strengen, vorhersehbaren Regeln. Alles war programmiert, und wenn es nicht so lief, wie man sich das erhoffte, dann programmierte man das Ganze so lange um, bis es das tat.
In diesem Sommer zog die Familie um in ihre Villa auf dem Land in Venetien, wie jedes Jahr, wenn die Hitze und der Gestank in Venedig unerträglich wurden. Daniele hatte darauf bestanden, seinen Computer mitzunehmen. Sein Vater trug ihn soeben hinaus auf die Barkasse, als er ausrutschte und das Gerät in den Kanal fiel. Bestürzt sahen seine Eltern mit an, wie Daniele ohne Zögern hinterhersprang und hinabtauchte, um es herauszuholen. Er bekam Fieber von dem verunreinigten Wasser, doch sobald es ihm wieder besser ging, machte er sich daran, möglichst viele Daten von der Festplatte zu retten. Die Arbeit war mühsam, wie wenn man eine Vase wieder zusammensetzte, die in tausend Stücke zersprungen war. Doch war es ihm letzten Endes gelungen.
Er fragte sich immer noch, ob sein Vater tatsächlich ausgerutscht war oder ob seine Eltern der Meinung gewesen waren, ihr Sohn würde zu viel Zeit allein vor dem Computer verbringen.
Selbstverständlich wollte er nichts von alledem mit Capitano Tapo teilen, obwohl ihm nicht entging, dass sie ihn neugierig musterte.
»Diese Festplatte ist ein Beweisstück«, erklärte sie. »Wenn sie das Hauptquartier verlässt – geschweige denn, dass sie in die Hände eines verurteilten Verbrechers gelangt –, dann wäre sie vor Gericht nutzlos.«
»Sie wäre ja so oder so nutzlos vor Gericht«, wandte er ein. »Was haben Sie also zu verlieren?«
Sie zögerte. Immerhin hatte sie die Festplatte noch, und es stimmte schon, Malli hatte ja auch gesagt, dass man sie genauso gut wegwerfen könnte. Was machte es also für einen Unterschied, ob man sie in den Müll beförderte oder an Barbo aushändigte?
Doch, so rief sie sich selbst in Erinnerung, wenn sich tatsächlich etwas darauf fand, und Barbo konnte die Daten retten, dann hatte sie keinerlei Garantie, was er mit diesen Informationen anstellen würde. Er konnte sie sich für seine Zwecke unter den Nagel reißen und dann behaupten, er hätte nichts gefunden. Ihr war klar, dass Piola diesen Vorschlag als unmöglich erachten würde.
»Tut mir leid«, sagte sie schließlich kopfschüttelnd. »Das kann ich nicht machen.«
Er zuckte bloß mit den Schultern, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Verstehe. Aber würden Sie mir wohl einen Gefallen tun?«
»Der da wäre?«
»Wenn Ihre Ermittlungen von Leuten behindert werden, die Sie nicht kennen, wenn Beweismittel abhandenkommen oder Zeugen zum Schweigen gebracht werden, wenn Sie und Colonnello Piola daran gehindert werden, bestimmten Spuren nachzugehen, die ihnen vielversprechend vorkommen – werden Sie dann noch einmal über mein Angebot nachdenken?«
Sie würde keinesfalls zugeben, dass all das bereits eingetreten war. Stattdessen nickte sie. »Vielleicht.«
»Wenn das so ist, Capitano«, erklärte er, während er sich erhob, »warte ich auf Ihren Anruf.« Damit war das Gespräch beendet. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Das Ganze hatte exakt neunundzwanzig Minuten gedauert.
Während sie das Zimmer verließ, sah sie noch, wie er an das Whiteboard trat und das darauf Geschriebene eingehend studierte. Dann fuhr er die mathematischen Formeln mit dem Stift nach, als würde er von einem Notenblatt ablesen, dessen Melodie nur er hören konnte.
33
Kat fuhr abermals zum Institut Christina Mirabilis, denn Pater Uriel hatte ihr widerwillig zugestanden, mit einer der älteren Nonnen dort über Poveglia sprechen zu können. Doch war sie mit ihren Gedanken nicht bei dem bevorstehenden Gespräch, sondern bei ihrer Unterredung mit Daniele Barbo.
Sie gab sich stets Mühe, keine vorschnellen Urteile über Menschen zu fällen. Die Polizeiarbeit hatte sie gelehrt, dass der lächelnde Familienvater, der einem stolz Bilder von seinen Kindern präsentierte, sich jederzeit als Kinderschänder herausstellen konnte. Der nette ältere Herr, der die meiste Zeit damit verbrachte, sich um
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