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Martha Argerich

Martha Argerich

Titel: Martha Argerich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bellamy
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der Dirigententätigkeit und der Kammermusik auf, denn mit weiteren Solorecitals hätte er seinen Betrug zugeben und mehrere Jahre im Gefängnis verbringen müssen.
    Ein Konzert von Arturo Benedetti Michelangeli zu erleben war extrem faszinierend. Dieser ausgemachte Perfektionist beschwerte sich gern, dass in dieser erbärmlichen Welt keine guten Klaviere zu finden seien und er wohl erst im Paradies auf ein solches stoßen würde. Gott hat ihm diesen Wunsch hoffentlich erfüllt, als er ihn am 12. Juni 1995 zu sich rief. Maurizio Pollini und Martha Argerich waren beide bei seiner Beisetzung zugegen. Pollini erinnerte sich »an einen Mann, der auf einzigartige Weise dem künstlerischen Ideal verpflichtet war«. Martha taufte ihre Stiftung für junge Musiker auf den Namen des Verstorbenen.
    Nachdem er 1960 den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewonnen hatte, verordnete Maurizio Pollini seiner Karriere eine Auszeit und begab sich nach Moncalieri, um bei dem großen Meister zu studieren, der wie er an einem 5. Januar das Licht der Welt erblickt hatte. »Nur Sie können mir helfen«, hatte er ihm geschrieben. Und Martha? Dachte auch sie, dass nur er ihr helfen könne? Michelangeli wollte nicht, dass seine Schüler sich bei Auftritten profilierten, während sie seine Schützlinge waren; dies lieferte der Pianistin eine unverhoffte Entschuldigung denjenigen gegenüber, die sie partout auf die Bühne zurückbringen wollten. Sie bewunderte sein Spiel, seinen Stil und vor allem seine Aufnahme des Klavierkonzerts G-Dur von Ravel. Sie wusste, dass sein Repertoire immens war, er aber nur einen ganz kleinen Ausschnitt daraus in der Öffentlichkeit spielte. Sie war extrem angetan von seiner Persönlichkeit, liebte seine Verrücktheiten und wollte weg aus Genf. Ihre erste Begegnung fand in Bozen statt. Michelangeli empfing sie, machte aber keinen Hehl aus seinem mangelnden Interesse. »Bei wem haben Sie gelernt?«, fragte er zerstreut. Nachdem Martha ihm ihre Lehrer aufgezählt hatte, so wie sie ihr in den Sinn gekommen waren, sagte er mit einem ironischen Lächeln bloß: » Bella collezione! «
    Sie setzte sich ans Klavier, und er vermerkte in seinem Notizheft: »Sieht den Ton nicht als gottgegeben an.« Eine Schüler-Lehrer-Beziehung zwischen dem perfektionistischen Ästheten und dem Naturwunder – das konnte eigentlich nicht gut gehen. Martha war auf der Suche nach einem fruchtbaren künstlerischen Austausch, von Gleich zu Gleich, einer modernen, einfachen, kreativen Beziehung, wie sie es in der Zusammenarbeit mit Gulda kennengelernt hatte. Aber Michelangeli war zu verschlossen, zu kühl, zu sehr »Steinbock« für sie. Er war eine Art Guru, und sie misstraute jeder Art von Sekte. Doch sie hatte nichts Besseres zu tun, also blieb sie, und er beobachtete sie aus der Distanz heraus. »Ich habe keinen Kontakt zu ihm bekommen«, sagt sie heute über ihr Verhältnis. Signora Michelangeli korrigiert sie sanft: »Mein Mann hat Martha deshalb nur so wenige Stunden gegeben, weil sie einfach nicht mehr benötigte.«
    Der Pianist Alberto Neuman, der zu jener Zeit häufig in Moncalieri war, schlägt ein anderes Erklärungsmuster vor: »Michelangeli war eifersüchtig auf Marthas Faible für Horowitz.« Einmal, als Neuman, um eine Zigarette zu rauchen, sein Zimmer verlassen hatte und auf den Flur getreten war, bekam er durch Marthas Tür hindurch mit, wie sie bei voller Lautstärke eine Horowitz-Aufnahme hörte. Kurz darauf bemerkte er die bekannte Silhouette Michelangelis im Korridor, der, genervt von dem Lärm, vor sich hin schimpfte: »Die immer mit ihrem Horowitz!« Für Neuman war die Tatsache, dass der Maestro ihr den Unterricht verweigerte, eine Form von Rache. Martha versuchte
immer wieder, das Thema bei Michelangeli anzubringen, der so tat, als verstünde er sie nicht. Sogar Juanita probierte Katastrophenhilfe zu leisten und ihrer Tochter beizustehen – ohne Erfolg. Sie blieb, um Alberto Neuman zu hören, der das Klavierkonzert Nr. 1 von Liszt vor dem guten Dutzend Gäste der Villa gab. Der Kommentar des großen Meisters zu seiner Darbietung war außergewöhnlich streng. Juanita, der ob dieser Reaktion das Blut in den Kopf gestiegen war, konnte sich nicht zurückhalten: »Sie sind zu hart mit ihm«, warf sie dem Maestro vor, »er hat sehr gut gespielt!«
    Besessen von der pianistischen Perfektion, verlangte der Italiener von seinen Schülern, dass sie die Klavierübungen von Pischna* und die Sonaten von Clementi aus dem Effeff

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